31.01.2013
Über Kirchenaustritt, Glauben und politische Herausforderungen: Stephan Weil im KiZ-Gespräch
„Ich empfinde mich als Christen“
Er ist der kommende Ministerpräsident von Niedersachsen: Stephan Weil. Im KiZ-Interview spricht er über das zukünftige Verhältnis der Landesregierung zu den Kirchen, was ihm wichtig ist – und warum er die katholische Kirche verlassen hat.
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Gefragter Gesprächspartner: der designierte niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (links, hier mit den Spitzenkandidaten der Grünen, Anja Piel und Stefan Wenzel). Foto: Julian Stratenschulte/dpa |
Herr Weil, auch wenn es eine persönliche Frage ist: Wann und warum sind Sie aus der katholischen Kirche ausgetreten?
Vorweg: Ich trage meine Glauben nicht vor mir her. Das ist eine persönliche Sache. Ich bin Anfang der 1980er-Jahre ausgetreten. Es gab eine zunehmende Entfremdung von der Amtskirche. Der auslösende Punkt war, als der damalige Papst Johannes Paul II. auf einer seiner Auslandsreisen nach Südamerika sehr klar Stellung gegen jede Form der Familienplanung bezogen hat.
Sie sind in Hamburg geboren und in Hannover aufgewachsen. Hatten Sie die gemeinhin sogenannte katholische Kindheit?
Durchaus. Meine Eltern stammen aus Oberschlesien. Ich bin sehr katholisch erzogen worden. Ich war in der Gemeinde engagiert, war Messdiener und in der katholischen Jugend aktiv.
Haben christliche Werte noch eine Bedeutung für Sie?
Ja, eine große Bedeutung. Ich empfinde mich weiterhin als gläubigen und auch als katholischen Christen. Wenn man so erzogen ist wie ich, dann ändert sich daran nichts.
Solidarität ist ein grundlegender Wert der Arbeiterbewegung. Sehen Sie Parallelen zur katholischen Soziallehre, vor allem, was den Einsatz für die Schwachen betrifft?
Solche Parallelen drängen sich auf. Solidarität und Nächstenliebe haben ganz enge Bezugspunkte. Vielleicht sind sie sogar identisch. Beide Werte nehmen uns in die Pflicht: Wir sind nicht allein für uns selbst da, wir müssen uns kümmern – um unsere Mitmenschen und vor allem um die, denen es schlecht geht. Das zeichnet uns als soziale Wesen aus. Ich habe das immer als wesentlichen Teil meines Glaubens und meiner politischen Motivation betrachtet.
Sechs Prozent mehr Katholiken als 2008 haben bei der SPD ihr Kreuz gemacht. Gibt es bei den Koalitionsverhandlungen jetzt eine Art katholischen Bonus?
Ich freue mich über den größeren Zuspruch. Das hat aber keinerlei Einfluss auf die Koalitionsverhandlungen oder die Politik einer neuen Niedersächsischen Landesregierung. Es liegt ja auch durchaus im Trend, dass die alten Lager – Katholiken wählen CDU, evangelische Christen fühlen sich eher der SPD zugeneigt – zunehmend schwinden. Da kommt Flexibilität hinein. Das ist gut so.
Es geht also weniger um Tradition als um politische Fragen. In Niedersachsen gab es eine scharfe Auseinandersetzung um mehr Humanität für Flüchtlinge.
Ich vermute stark, dass viele gläubige Christen die Ausländer- und Flüchtlingspolitik zu ihrem Maßstab gemacht haben. Das kann ich gut verstehen. Mich hat vieles von dem, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, schlichtweg empört.
Was hat die katholische Kirche von Ihrer Regierung zu erwarten – zum Beispiel beim Religionsunterricht, den Ihr voraussichtlicher Koalitionspartner abschaffen möchte?
Die katholische Kirche kann eine sehr gute Zusammenarbeit erwarten. Bischof Trelle kenne und schätze ich aus meiner Zeit als Oberbürgermeister von Hannover sehr. Ich freue mich auch auf eine gute Zusammmenarbeit mit Bischof Bode. Ich halte die Kirchen und Religionsgemeinschaften in unserer Gesellschaft für unersetzlich. Deswegen möchte ich mit ihnen und nicht gegen sie arbeiten.
Und die katholischen Schulen? Müssen die sich auf Kürzungen einstellen?
Nein, ich akzeptiere die Pluralität unseres Schulwesens. Das hat sich bewährt und deshalb ist an dieser Stelle von mir keine Benachteiligung zu erwarten.
Eine weitere Forderung Ihres Koalitionspartners ist die Überprüfung des Konkordats, vom Tanzverbot bis zu den Staatsleistungen. Was sagt die SPD dazu?
Verträge sind Verträge. Sie sind natürlich in ihrer Zeit abgeschlossen worden. Aber auch an dieser Stelle sehe ich keinen vorrangigen Handlungsbedarf.
200 Kliniken im Land schreiben derzeit rote Zahlen, darunter auch katholische Kliniken und vor allen kleinere ländliche Häuser. Grund sind die Landesbasisfallwerte. In Hamburg oder Rheinland-Pfalz bekommen die Kliniken 100 Euro mehr pro Patient. Sieht die SPD hier Handlungsmöglichkeiten?
Das ist ein mehr als dringliches Thema. Ich sehe die Entwicklung unserer Krankenhäuser mit der allergrößten Sorge, insbesondere die Zukunft der kommunalen, kirchlichen und gemeinnützigen Kliniken. Diese Krankenhäuser erhalten weit weniger Erstattung als vergleichbare Kliniken in anderen Bundesländern. Es ist ein, wie ich finde, absurdes System, dass in einzelnen Bundesländern eine Operation am Blinddarm besser entlohnt wird als in anderen. Wir müssen uns massiv bei den Krankenkassen für eine Gleichbehandlung einsetzen.
Problem Altenpflegeheime. Ein Haus mit 80 Plätzen in Hameln (Niedersachsen) erhält 20 Prozent weniger an Pflegesatz als eines in Lemgo (Nordrhein-Westfalen). Im SPD-Wahlprogramm steht: Die Pflegesätze müssen auf mindestens den durchschnittlichen Pflegesatz der westdeutschen Bundesländer angehoben werden. Bleibt es dabei?
Hier gilt wie bei den Krankenhäusern: Eine SPD-geführte Landesregierung wird sich an der Seite der Pflegeheimträger massiv für eine Erhöhung des Pflegesatzes einsetzen. Ich kenne das Problem aus meiner eigenen Tätigkeit. Die Stadt Hannover, für die ich bislang gearbeitet habe, trägt ebenfalls Altenpflegeheime. Wir waren auf der Grundlage des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst nicht in der Lage, die Einrichtungen wirtschaftlich zu führen. Daher haben wir hausintern eine Sonderregelung gefunden. Es tut mir ausgesprochen leid zu sehen, wie gerade sozial motivierte Träger, wie die Kirchen und Wohlfahrtsverbände, in heftige Auseinandersetzungen mit ihren eigenen Beschäftigten geraten – weil sie in einer ausweglosen Situation sind. Da werden künftig die Landesregierung, die Träger und die Beschäftigten Seite an Seite für bessere Bedingungen kämpfen.
Es geht also gegen die soziale Schieflage in der Finanzierung und dass gute Arbeit gut bezahlt werden wird?
Ich halte die schlechte Bezahlung wirklich für einen sozialpolitischen Skandal. Außerdem wird die Zahl der Pflegebedürftigen in Zukunft stark ansteigen und gleichzeitig wird die Zahl der jüngeren Arbeitskräfte abnehmen. Das ist eine Diskrepanz, die nicht länger vertretbar ist.
Interview: Rüdiger Wala