16.04.2014

Werke der Barmherzigkeit: Durstige tränken

„Unsere Arbeit wird gebraucht“

Hauptbahnhof Hannover – der Einsatzbereich des „Projektes Obdachlose“. Eine der Helferinnen ist Ilona Peters (22). Die angehende Wirtschaftsingenieurin ist seit viereinhalb Jahren dabei.  

Kaffee, Obst, belegte Brote, ein paar Kekse. Das bringen Ilona Peters und Malgorzata Soltys zum Hauptbahnhof mit – per Handkarren. Foto: Tillo Nestmann
Kaffee, Obst, belegte Brote, ein paar Kekse. Das bringen
Ilona Peters und Malgorzata Soltys zum Hauptbahnhof mit
– per Handkarren. Foto: Tillo Nestmann

Rückblick Januar 2014: Es ist Samstag mittag. Die Wochen des milden Winters sind erst einmal zu Ende. Zehn Grad minus. Am Ausgang des Hauptbahnhofs zieht es wie Hechtsuppe. Dort stehen drei Grüppchen dicht beieinander. Die meisten haben rote Gesichter, halten eine welke Plastiktüte in der Hand und treten von einem Fuß auf den anderen.

Jeder hat eine Mütze auf dem Kopf, meist darüber die Kapuze der Jacke gezogen und den Rücken dem Wind zugedreht. So versuchen sie, der Kälte zu entgehen. Alle warten darauf, dass „die von der Kirche“ wieder kommen.

Da kommen sie endlich mit dem Aufzug vom U-Bahnsteig hochgefahren. Dieses Mal sind es zwei Frauen: Ilona Peters (22) und Malgorzata Soltys (33). Sie gehören zum „Projekt Obdachlose“ des Kirchortes St. Franziskus (Gemeinde Heilig Geist) im Stadtteil Vahrenheide/Sahlkamp. Dieses besucht Sonnabend für Sonnabend immer mit einem Zweier- oder Dreierteam die Obdachlosen im Bereich des Hauptbahnhofs.

Ilona Peters und Malgorzata Soltys haben einen zweirädrigen Handwagen dabei. Daraus holen sie, worauf die verfrorenen Grüppchen warten: vier Thermos­kannen mit heißem Kaffee und Tee, belegte Brötchen und Stullen, Mandarinen und Bananen, Kekse.

Bruder machte Praktikum in der Firmvorbereitung

Ilona Peters ist seit viereinhalb Jahren, Malgorzata Soltys seit sieben Monaten im „Projekt Obdachlose“ tätig. Ilona Peters war auf das Projekt durch einen ihrer Brüder während dessen Firmvorbereitung aufmerksam geworden. Seitdem macht sie freiwillig mit. Malgorzata Soltys, verheiratet und Mutter einer 14-jährigen Tochter, ist durch Ilona Peters angeregt worden.

Die beiden Frauen hatten zusammen Sternsinger begleitet. Die Obdachlosenhelferinnen stammen beide aus Polen, Ilona Peters aus Danzig, Malgorzata Soltys aus einem Dorf bei Breslau. Beide lieben Musik. Beide waren in Polen Pfadfinderinnen. Ilona Peters, die vor ihrem Studium am Kirchort St. Franziskus auch eine Kindergruppe geleitet hatte, schwärmt für Rap-Musik und Fantasy-Romane.

Die Lebensmittel für die Obdachlosenverteilung werden zum einen Teil mit Spendengeld gekauft. Zum anderen Teil werden die Lebensmittel direkt gespendet.  Da sind einen Tag alte Brötchen eines Bäckers, da sind Lebensmittel eines Supermarktes, die wenige Tage vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums stehen, oder Obstbeutel, in denen ein paar Früchte zerdrückt, die anderen aber einwandfrei sind.

Das Publikum ist sehr gemischt. Ein großer Teil besteht aus Drogensüchtigen. Aber auch von Altersarmut Betroffene sind zu sehen, die mit sehr wenig Geld auskommen müssen, sich dafür schämen und froh sind, in einen Becher Kaffee und eine Banane zu bekommen.

„Raues Klima“ unter den Obdachlosen

Unter Obdachlosen herrscht ein raues Klima „und man muss schon aufpassen“, sagt Ilona Peters, „denn viele nehmen Drogen. Bei denen kann die Stimmung von freundlich plötzlich auf hochaggressiv kippen.“
Für die Obdachlosenbetreuung gibt es einen Jahreshöhepunkt. Dann feiern die Projekt-Helfer zusammen mit den Obdachlosen ein Fest. Es wird gegrillt, und es gibt auch Fassbier. So auch im Oktober vergangenen Jahres. Ein paar Obdachlose wollten danach sogar das Angebot annehmen, eine katholische Drogentherapieeinrichtung in Nauen bei Berlin zu besuchen.

Aber es fuhr dann nur einer der Obdachlosen mit. Besonders schmerzt es Ilona Peters, dass ein bestimmtes Paar nicht mit dabei war. Er war drogen-, sie alkohol-abhängig — und schwanger. Und beide hatten vorher betont, von ihrer Sucht jetzt wirklich loszukommen. Ilona Peters sieht die beiden alle paar Wochen am Bahnhof wieder, die Frau mit Bierflaschen in der Hand und einem dicker werdenden Bauch.
Hat die Arbeit dann noch einen Sinn? Ist dann nicht alles umsonst? „Nein“, sagt Ilona Peters, „weil unsere Arbeit gebraucht wird.“ Es gehe nicht um die Zahl von Therapien, um kostenlose Stullen und Bananen.

Was die Obdachlosen an den Helfern immer wieder loben: Das sind ganz normale Menschen, die uns zuhören. Sonst haben sie immer mit Menschen zu tun, die sich für irgendein Gehalt mit ihnen „abgeben“: Polizisten, Sozialarbeiter, Security-Angestellte und Rettungssanitäter.

Mit Menschen sprechen zu können, die dafür nicht bezahlt werden, ist für die Obdachlosen etwas Besonderes.

Tillo Nestmann