27.07.2017
Hasperde Mausoleum und Kapelle
Adel verpflichtet
Eine Adelsfrau hat ein großes Herz für Fremdarbeiter. Ein Kaplan kümmert sich nicht nur um das Seelenheil der Menschen. Und ein Mausoleum wird zu einem Ort für geradezu fortschrittliche Gottesdienste.
dem Mausoleum von Schloss
Hasperde. Hier sind seine
Vorfahren begraben. | Fotos:
Stefan Branahl/privat
Es ist eher unwahrscheinlich – aber sollten Sie jemals über die kurvenreiche schmale Landstraße zwischen Coppenbrügge und Hasperde fahren, seien Sie nicht irritiert, wenn Sie rechts hinten im Kornfeld eine Kuppel sehen. Sie erinnert eher an Italien und wirkt aber so was von fremd in den Hügeln des Deisters südlich von Hannover. Sigmund Graf Adelmann kennt den Weg durch die Flur. Zweimal links, dann rechts, dann ein paar hundert Meter geradeaus und wir stehen vor dem Grab seiner Vorfahren. Das Mausoleum war Ort für ungewöhnliche Gottesdienste. Und im benachbarten Schloss, knapp einen Kilometer entfernt und durch einen Buchenwald getrennt, hatte die Urgroßmutter eine Kapelle eingerichtet. Einer der ersten Kapläne war der spätere Hildesheimer Bischof Joseph Godehard Machens.
Protestant heiratet Katholikin
Es ist eine recht komplizierte Geschichte. Sie handelt von Adelsfamilien, dem Krieg zwischen Österreich und Preußen, von der tiefen Diaspora des großen Bistums Hildesheim und von katholischen Fremdarbeitern. Das alles aufzudröseln würde hier zu weit führen. Deswegen überspringen wir die eigentlich höchst interessanten politischen Auseinandersetzungen jener Zeit und kommen direkt zu Otto von Hake. Der Freiherr stammt aus alter hannoverscher Linie, die vor allem im Weserbergland lebte. 1850 tritt er in österreichische Dienste ein und lernt Marie Brentano kennen. Sie katholisch aus eben diesem Brentano-Haus, das Ihnen jetzt in den Sinn kommen könnte. Finanziell abgesichert durch Beteiligungen der Familie an Werften, die Kriegsschiffe baute für die österreichisch-ungarische Armee in Pola an der Adria, heute Pula in Kroatien. Er ist Protestant. Beide sind – damals für Stand und Gesellschaft eher ungewöhnlich – konfessionell ausgesprochen tolerant. Nach der Hochzeit 1866 übernimmt das Paar das ziemlich heruntergekommene Barockschlösschen Hasperde bei Hameln und baut es mit Maries Geld zu einem der prächtigen Renaissanceschlösser der Gegend aus.
sich nicht nur um das Seelenheil,
sondern vor allem auch um die
irdischen Angelegenheiten der
Arbeiter und ihrer Familien.
Der Kaplan soll sich um die Kinder kümmern
Als Otto von Hake 1891 stirbt, hinterlässt er eine Witwe mit vier kleinen Kindern, die sich kaum den Angriffen der Verwandtschaft ihres Mannes zu erwehren weiß: die will per Eingabe an die Behörden eine protestantische Erziehung der Kinder erzwingen. Quasi als Rückendeckung holt sich Marie einen katholischen Geistlichen ins Haus: Kaplan Leopold Scharla soll sie unterstützen. Das macht er mit großem Engagement – aber darüber hinaus kümmert er sich auch um die anfangs sehr kleine Gruppe katholischer Christen und feiert mit ihnen in der eigens eingerichteten Schlosskapelle den Gottesdienst. Viele kommen in langen Fußmärschen aus den umliegenden Dörfern.
Bald tritt die Erziehung der Hake-Kinder in den Hintergrund, doch Marie von Hake unterstützt Scharla bei seinen seelsorglichen Aufgaben. Mehr noch: Immer wieder investiert sie ohne Aufhebens viel Geld in die Ausstattung der ersten katholischen Kirche von Hameln, St. Augustinus. Manches dürfte sie dem Kaplan zugesteckt haben, der sich ungewöhnlich stark engagiert: Scharla betreut die Arbeiter aus dem Eichsfeld, die in den Glashütten rund um Bad Münder arbeiten, die Männer aus Bayern, die Eisenbahngleise nach Hannover verlegen. Er kümmert sich um die italienischen Arbeiter aus den umliegenden Steinbrüchen und die polnischen Erntehelfer, lernt ihre Sprache, besucht sie zu Hause und kämpft für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. Wie miserabel die damals waren, zeigt ein Blick in die Chronik, die der Kaplan führte. Darin schreibt er von drei polnischen Babys, die starben, weil ihre Mütter kurz nach der Geburt wieder arbeiten mussten. Scharla zog einen Arzt hinzu, der in diesem Zusammenhang von „qualifiziertem Mord“ sprach.
album: Marie von Hake.
1904 schickt die Redaktion der italienischen Zeitung La Patria einen Mitarbeiter, der einen flammenden Artikel über den deutschen Kaplan von Hasperde schreibt und zu dem Schluss kommt: „Erst geht es um Gerechtigkeit und dann um religiöse und moralische Bedingungen. Wir müssen Seele und Körper helfen“. Scharla wird von der italienischen Regierung mit einem Orden ausgezeichnet, später von den polnischen Bischöfen für sein Engagement geehrt.
Nach Scharla übernimmt Kaplan Joseph Godehard Machens die Nachfolge in Hasperde. Dem späteren Hildesheimer Bischof liegt weniger die individuelle Seelsorge am Herzen. Er widmet sich vielmehr seiner Dissertation, schafft allerdings auch ein entspannteres Verhältnis zu Staat und protestantischer Kirche.
1936 wird im benachbarten Bad Münder die erste katholische Kirche gebaut, der Schwerpunkt der Seelsorge verlagert sich, die Schlosskapelle ein paar Jahre später geschlossen. Doch hin und wieder versammeln sich die Katholiken noch in Hasperde zum Gottesdienst – am Mausoleum, wo Otto und Marie von Hake in der Gruft ihre letzte Ruhe gefunden haben. Einer der bemerkenswertesten findet 1935 statt, der Bund Neudeutschland veranstaltet hier sein Pfingsttreffen. In alten Unterlagen hat Adelmann Unterlagen und Fotos entdeckt. „Auf die Bedeutung dieses Gottesdienstes bin ich allerdings erst spät durch Weihbischof Heinrich Machens gestoßen, der als Jugendlicher daran teilgenommen hatte: Er hat mir ganz begeistert davon erzählt – es war wohl die erste Messe möglicherweise weltweit, die vom Priester mit dem Gesicht zum Volk zelebriert wurde. Allgemein üblich wurde diese sogenannte Messe versus populum ja erst viel später durch das Zweite Vatikanische Konzil.“
Das ehemalige Schloss von Hasperde ist heute ein Pflegeheim, an die frühere Kapelle erinnern nur noch historische Fotos. Die Familie von Sigmund Graf Adelmann wohnt in einem Nebengebäude in unmittelbarer Nachbarschaft. Das Mausoleum konnte er mit erheblichem Aufwand vor dem Verfall retten, einen Zaun musste er ziehen, weil Randalierer sich hier immer wieder ausgetobt haben. Manchmal zieht es ihn an das Grab seiner Vorfahren. Dann schließt er mit dem großen Schlüssel das eiserne Tor auf, geht die Stufen hinauf zum Rundbau mit der markanten Kuppel und schaut nach dem rechten. Später wird er hier selbst einmal begraben – „aber nicht in der Gruft, sondern irgendwo an der Mauer“.
Stefan Branahl
In der kommenden Ausgabe: Die Feldsteinkirche in Salzhausen