05.04.2012
Eine kleine Geschichte des christlichen Urkommunismus
Die Armen: Bevorzugt von Gott
„Sie hatten alles gemeinsam.“ Kurz und knapp wird die Apostelgeschichte wesentlich. Erbauungsgeschichte oder Modell einer Gemeinde? Immer wieder wird die Idee des christlichen Urkommunismus für Menschen zum Leitbild.
„Hier dagegen, wo allen alles gehört, ist jeder sicher, dass keinem etwas für seine persönlichen Bedürfnisse fehlt, sofern nur dafür gesorgt wird, dass die öffentlichen Speicher gefüllt sind. Es gibt nämlich keine missgünstige Güterverteilung, es gibt weder Arme noch Bettler dort, und obwohl keiner etwas besitzt, sind doch alle reich.“
Das Zitat stammt nicht aus der Bibel. Könnte es aber. Geschrieben hat es Thomas Morus 1516 in seiner „Utopia“. Damit gab er nicht nur einer literarisch-philosophischen Form ihren Namen, sondern pries ein Modell selig, wie das Zusammenleben der Menschen gelingen könnte – ohne Sozialneid und Einkommensschere, mit Verteilungsgerechtigkeit.
Kritiker solcher Ideen? Allerorten. Während bei Thomas Morus klar ist, dass er sich seine Utopie ausgedacht hat, gilt auch die biblische Geschichte manch einem als geschönt. „Das Gemälde ist idealisiert“, schreibt Hans Conzelmann in seinem „Grundriss zum Neuen Testament“. Schließlich hätten gar nicht alle ihr Hab und Gut abgegeben. Ein System des Almosengebens werde geschildert, keines ohne Privateigentum. Und deshalb könne man nicht von Kommunismus sprechen.
Folglich wird in der Literatur häufig nachgesüßt: Da ist dann mit Blick auf die christliche Urgemeinde vom „Liebeskommunismus“ die Rede oder von „Edelkommunisten“. Träumer, Idealisten, nicht von dieser Welt …
Wer in der urchristlichen „Gütergemeinschaft“ dann doch ein urkommunistisches Ideal verwirklicht sieht, der sagt mit dem Dominikaner Wolfgang Ockenfels: „Dieses Ideal einer besonders radikalen Nachfolge Jesu ist nur verständlich auf dem Hintergrund der damals herrschenden Naherwartung der unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft Christi. Wer das Ende der Welt erwartet, dem fällt es nicht schwer, sich von seinem Besitz zu trennen.“
Und später in der Geschichte? Als die Welt doch nicht untergeht? Orden. Erst die Wüstenväter, dann Bettelmönche wie Franziskus. Und nun bis heute kleine überschaubare Gemeinschaften in aller Welt. Ohne privates Eigentum. Alles gehört allen. Oder: Keiner hat nichts. Eine Gewissenserforschung, Stachel im Fleisch einer satten christlichen Gesellschaft. Damit lässt sich leben als Christ. Schließlich ist das Reich Gottes nicht für das Hier und Jetzt versprochen.
Seit die katholische Kirche eine Soziallehre hat, seit 1891, zeigt sich: Entscheidend ist die Einstellung zum Privateigentum. So zieht Papst Leo XIII. in der ersten Sozialenzyklika „Rerum novarum“ eine klare Grenze zwischen Christentum und Sozialismus.
Privateigentum ist Naturrecht. Wer hat, der sollte aber davon etwas abgeben. Almosen für die Armen aus geschwisterlicher Liebe. Wer so argumentiert, der baut die christliche Nächstenliebe auf die Existenz von Beziehungen und nicht auf das Fehlen von Besitz.
„Sozialisten können Christen sein, Christen müssen Sozialisten sein.“ Der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer hat das ganz anders gesehen. Und mit diesem Satz Ende der 1970er Jahre eine Menge Menschen in seiner protestantischen Kirche aufgewühlt. Er will, dass Christen nicht nur barmherzige Samariter sind, sondern Propheten der Gerechtigkeit. So wie Dorothee Sölle, die vor 25 Jahren schrieb: „Wie Schafe leben die Christen unter den Wölfen. Reich sein, heißt, ein Wolf sein. Jesu Botschaft gilt nicht überzeitlich und klassenneutral allen, sondern spezifisch den Armen.“
Das klingt noch radikaler als so manche Botschaft eines Befreiungstheologen. Bevor Leonardo Boff 1985 das ihm vom Vatikan auferlegte Bußschweigen begann, schrieb er in einer Erklärung: „Ich beteure, dass das Evangelium sich an alle ohne Ausnahme richtet. Jedoch gebe ich zu, dass das Evangelium die Armen bevorzugt, denn sie sind die Mehrheit der leidenden Menschen und die Bevorzugten von Gott, von Christus und von der Kirche.“
Ist das jetzt Kommunismus? Sozialismus? Katholische Soziallehre? Oder einfach eine Essenz des christlichen Glaubens?
Johannes Becher