24.10.2016
Reformation in Niedersachsen
Die Männer hinter Luther
Es dauert keine 100 Jahre nach dem Thesenanschlag von Martin Luther 1517: Am Ende des 16. Jahrhunderts ist fast das ganze heutige Niedersachsen protestantisch. Dazwischen liegt eine Zeit von blutigen Kriegen und Fehden, von Machtpolitik und Ränkeschmieden.
Die Reformation breitete sich auf zwei Wegen aus: von „unten“ – durch Stadtbürger, die sich von der neuen Lehre Freiheit versprechen. Und von oben – Fürstenhäuser nutzen die Reformation zum Ausbau ihrer Pfründe. Dazwischen standen die Männer, die die neue Lehre zwischen Nordsee und Harz verkündigten. Die KiZ stellt im zweiten Teil der Serie über die Reformation in Niedersachsen fünf von ihnen vor.
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Johannes Bugenhagen (1485–1558) |
Der Weggefährte: Johannes Bugenhagen
Freund, Vertrauter, Beichtvater für Martin Luther: Das ist Johannes Bugenhagen. Er schließt die Ehe Luthers mit Katharina von Bora, tauft deren Kinder und hält auch die Grabrede für den Reformator. Mit keinem anderen Namen ist die Reformation in Niedersachsen mehr verbunden als mit Johannes Bugenhagen.
Dabei hat der 1485 im pommerschen Wollin (heute Polen) geborene Bugenhagen Luther zunächst als Ketzer abgelehnt. 1509 wird Bugenhagen zum Priester geweiht – ohne zu diesem Zeitpunkt Theologie studiert zu haben. Er wirkt als angesehener Lehrer an einer Lateinschule, reist durch Pommern, verfasst im Auftrag seines Landesherrn Herzog Bogislav X. das Geschichtswerk „Pomerania“. Luthers Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“, in der Luther die sieben Sakramente infrage stellte, stößt zunächst auf scharfe Ablehnung Bugenhagens. Doch mehr und mehr öffnet er sich für die neue Lehre – und übersiedelt 1521 nach Wittenberg, wo Luther lebt.
Bugenhagen wird nicht nur Vertrauter, nicht nur Stadtpfarrer von Wittenberg, sondern auch Organisator der Reformation. Entscheidender Meilenstein dabei: seine Entsendung nach Braunschweig im Jahr 1528. Zwar hält er dort nicht die erste evangelische Predigt in der Stadt, aber er schreibt die erste Kirchenordnung – und nach diesem Braunschweiger Vorbild später noch viele weitere: unter anderem für Hamburg, Dänemark, Hildesheim und das ganze Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel.
Bugenhagen predigt der Überlieferung nach lang und gerne. Das ist auch bei seinen Kirchenordnungen spürbar. Sie regeln nicht nur Kirchenverwaltung, Ämter, Schule, Armenversorgung und Gottesdienste. Bugenhagen begündet die Regelungen auch ausführlich theologisch. Großen Wert legt er dabei auf Schule und Bildung – ganz der Lateinlehrer seiner Anfangszeit.
Professor in Wittenberg, Streiter in theologischen Fragen, Kirchenvisitator, Bibelkommentator: Auf viele Weisen bringt Bugenhagen die Sache der Reformation voran. Er stirbt im Alter von 72 Jahren am 20. April 1558.
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Heinrich von Zütphen (1488–1524) |
Der Märtyrer: Heinrich von Zütphen
Wohl um 1488 als Hendrik Gelrie in Zütphen (Mittelholland) geboren, tritt der spätere Reformator zunächst dem Orden der Augustiner-Eremiten bei. Im Kloster nahm er den Namen Johannes an. 1508 kommt er nach Wittenberg – zur gleichen Zeit wie Martin Luther, dem er zeit seines Lebens nahesteht. Später wird er Subprior in der Kölner Niederlassung seines Orden, 1515 Prior im Kloster Dordrecht in Südholland.
Nach Veröffentlichung von Luthers 95 Thesen versucht Heinrich von Zütphen die neue Lehre in Dordrecht durchzusetzen, im Orden wie in der Stadt. Wohl mit Strenge und Drohungen. Erfolg war ihm nicht beschieden, Zütphen muss sein Amt aufgeben.
Er geht zurück nach Wittenberg und befasst sich mit zentralen Fragen der Reformation – der Rechtfertigungslehre, der Frage von Priestertum und Opfer und vor allem mit einer Streitschrift gegen die missa privata, die stille Messe ohne Beteiligung von Gläubigen.
1522 wird Zütphen Prior im Augustinerkloster zu Antwerpen. Wieder versucht er die neue Lehre durchzusetzen, predigt öffentlich und scharf gegen den Ablasshandel. Er wird gefangen gesetzt, es droht die Todesstrafe. Doch wird Zütphen von reformatorisch gesonnenen Bürgern befreit.
Auf Umwegen kommt er nach Bremen – und hilft entscheidend dabei die Reformation in der Hansestadt durchzusetzen. Täglich predigt er von Dezember 1522 an auf Geheiß des Bremer Bürgermeisters Daniel von Büren in der St.-Angarii-Kirche. Der Bremer Erzbischof Christoph von Braunschweig-Wolfenbüttel kann nichts entgegensetzen – weder der Predigt noch dem erstarkenden Bürgertum Bremens.
Im Oktober 1524 tritt Zütphen endgültig aus dem Augustinerorden aus und geht nach Dithmarschen. Seine Predigten erregen großes Aufsehen. Doch in Meldorf will der dortige Dominikanerorden seinen Auftritt verhindern. Zütphen wird am 10. Dezember 1524 von einer aufgebrachten Menschenmenge erschlagen. Kopf, Hände und Füße werden abgehackt und verbrannt. Luther selbst verfasst daraufhin die Schrift „Historie von Bruder Heinrich von Zütphen Märtyrtode“, das weite Verbreitung findet.
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Nikolaus von Amsdorf (1483–1565) |
Der Verbindungsmann: Nikolaus von Amsdorf
Zunächst ist Nikolaus von Amsdorf, 1483 in Torgau geboren, ein Mann der Wissenschaft: Er ist noch keine 30 Jahre alt, als er an der Universität Wittenberg 1510 das Dekanat der Philosophie übernimmt, im Jahr darauf das der Theologie. 1513 wird er sogar für ein Jahr Rektor.
Kontakt zur Martin Luther hat er zunächst akedemisch: Amsdorf setzt sich mit Luthers Römerbriefvorlesung auseinander, stimmt ihm, nach anfänglicher Skepsis, mehr und mehr zu. So stößt Amsdorf zum engeren Kreis der Reformatoren um Luther.
Er wird Berater und Begleiter. Amsdorf ist 1519 an der Seite von Luther bei der Leipziger Disputation mit dem katholischen Theologen Johannes Eck. Auch als Luther vom Wormer Reichstag 1521 geächtet wird, steht er neben dem Reformator – und ist der einzige, der von der fingierten Entführung Luthers durch Männer des Kurfürsten Friedrich von Sachsen im Vorfeld weiß. Luther wird auf die Wartburg bei Eisenach gebracht.
Amsdorf wird zum Verbindungsmann zwischen den Wittenbergern, dem Kurfürsten und Luther, der auf der Wartburg als „Junker Jörg“ getarnt lebt. Mehr und mehr drängt Amsdorf auf schnellere und radikalere Reformen. Zeitweilig sympathisiert er mit der reformatorischen Bildersturmbewegung.
1524 wechselt Amsdorf als erster Superintendent nach Magdeburg, wird in dieser Zeit zu einem nahezu erbitterten Verteidiger einer reinen lutherischen Lehre. Die Rechtfertigungslehre überspitzt er bis zu der Aussage, gute Werke seien schädlich für die Seligkeit. Von Magdeburg aus hilft er die Reformation in Einbeck und vor allem in der reichen und angesehenen Stadt Goslar durchzusetzen.
1542 wird er Bischof von Naumburg, muss aber nach den Schmalkaldischen Kriegen 1546/47 sein Amt aufgeben. Er wirkt noch bei der Gründung der Universität Jena mit, die die Lehre Luthers gegen die Reformuniversität in Wittenberg bewahren sollte. Als letzter von Luthers persönlichen Freunden stirbt er 1565 im Alter von 82 Jahren.
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Urbanus Rhegius (1489–1541) |
Der Ungewöhnliche: Urbanus Rhegius
Gleich drei Aspekte im Leben von Urbanus Rhegius sind ungewöhnlich: Er wirkt sowohl im katholischen Süden des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wie im protestantisch werdenden Norden. Zudem setzt er sich trotz auseinanderstrebender reformatorischer Ideen für eine „evangelische Einheit“ und einen religiösen Ausgleich im Kaiserreich ein.
Rhegius, 1488 in Langenargen am Bodensee als Sohn eines Priesters geboren, besucht zunächst eine Lateinschule in Lindau. Er studiert Theologie in Freiburg im Breisgau, Ingolstadt, Tübingen und Basel. Rhegius hört dabei auch Johannes Eck, den großen katholischen Gegenspieler von Martin Luther. 1519 wurde er in Konstanz zum Priester geweiht und erhielt 1520 eine Stelle als Domprediger in Augsburg.
Eine der ersten Aufgaben von Rhegius: Er verliest die päpstliche Bulle Exsurge Domine (deutsch: „Erhebe dich, Herr“), in der Papst Leo X. den Bann über Martin Luther androht – sofern der Wittenberger Mönch nicht widerruft. Doch mehr und mehr spricht sich auch Rhegius gegen den Ablasshandel aus. Er verfasst eine Verteigungsschrift für Luther – und wird 1521 vom Domkapitel entlassen.
Drei Jahre lebt Rhegius in Tirol, arbeitet als Kaplan, wird wieder vertrieben und kehrt 1524 als evangelischer Pfarrer nach Augsburg zurück. Mit Streitschriften mischt sich Rhegius in die reformatorische Debatte um die Entwicklung der Reformation ein. Er spricht sich gegen die Bilderstümerei aus, lehnt die Leibeigenschaft entschieden ab und versucht im Streit zwischen Luther und Ulrich Zwingli über die „leibliche Gegenwart Christi“ im Abendmahl zu vermitteln.
Vor allem aber ist Rhegius an der Confessio Augustana beteiligt. Auf dem Augsburger Reichstag 1530 legen die lutherischen Reichsstände ein grundlegendes Bekenntnis zu ihrem Glauben ab. Bei aller Ablehnung des „römischen Weg“’, gehört Rhegius zu jenen Protestanten, die einen Bruch mit der römischen Kirche zu verhindern bemüht waren. Es kommt jedoch anders.
Am Rande des Reichtags lernt Rhegius Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg kennen. Der Regent beruft ihn 1531 zum Superintendenten von Celle. Rhegius festigt die neue Lehre in der Residenzstadt, trägt bis zu seinem Tod 1541 auch zum Durchbruch der Reformation in Lüneburg und Hannover bei. Beiden Städten gibt er eine neue Kirchenordnung.
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Antonius Corvinus (1501–1553) |
Der Berater: Antonius Corvinus
Die Verhältnisse im Fürstentum Calenberg, dem Kernlande Hannover, sind kompliziert. Immer wieder ist das Land von Deister bis Leine unter dem Herrscherhaus der Welfen geteilt worden. 1495 hat Erich I. das Fürstentum, zu dem auch Göttingen gehört, bei einer Erbteilung gewählt. Die Reformation ist nicht Sache von Erich I., dennoch können sich Städte wie Göttingen (1531) durch Friedrich Hüventhal eine lutherische Kirchenordnung geben. Seine zweite Frau, Elisabeth von Brandenburg, aber nimmt 1535 die neue Lehre an und bittet Luther um einen Berater. Luther schickt Antonius Corvinus.
Der Theologe hat seinen Ruf schon weg, ist er doch als „lutherischer Bube“ aus dem Kloster Riddagshausen verjagt worden. Corvinus, 1501 in Warburg an der Diemel geboren, ist als 18-Jähriger in den Zisterzienserorden eingetreten. Nach dem Rauswurf aus dem Orden wird er erst Pfarrer in Goslar, dann in Witzenhausen an der Werra – und enger Berater von Landgraf Philipp von Hessen.
Dann Calenberg: Von Erich I. wird der „Witzenhäuser Ketzer“ mit Skepsis empfangen. Doch lässt er Corvinus gewähren. 1540 stirbt Erich I. und seine Frau Elisabeth übernimmt als Vormund die Regierungsgeschäfte für den zwölfjährigen Thronfolger Erich II. Mit Corvinus setzt sie die Reformation im Fürstentum weiter durch. Elisabeth installiert ihn als Generalsuperintendenten mit Sitz in Pattensen. Corvinius visitiert das Land, setzt evangelische Prediger ein, führt Synoden durch.
Doch das Blatt wendet sich. Herzog Erich II. übernimmt 1545 die Regierungsgewalt selbst und arrangiert sich mit dem katholischen Kaiser. Militärische Niederlagen lassen aber den Plan scheitern, die Reformation in Niedersachsen niederzuwerfen. Erich II. nimmt aber Corvinius 1449 in Haft. Erst nach weiteren politischen Entwicklungen kommt der Reformator 1552 frei, wird Pfarrer an der Aegidienkirche in Hannover. Ein Jahr später stirbt Corvinus. Sein Tod löst Proteste im Land aus – wegen seiner langen Haft. Auch das festigt die Reformation im Calenberger Land.
Rüdiger Wala