25.08.2017
Ein prächtiger Sommersitz
Fast 900 Jahre alt ist die Dorfkirche von Idensen. Erbaut hat sie der damalige Bischof Sigward von Minden. Er holte die besten Bauleute und Freskenmaler seiner Zeit.
Einige hundert Jahre waren sie unter einer Kalkschicht
verborgen. Ab November werden sie gereinigt und
stabilisiert. | Fotos: Stefan Branahl
Man könnte jetzt vom Sendungsbewusstsein eines mittelalterlichen Bischofs reden, von seinem Anliegen, Gott durch einen Kirchbau zu loben und zu preisen. Oder ganz irdische Gründe zumindest nicht völlig ausschließen. Rolf Hermann jedenfalls ist zu lange Bankkaufmann gewesen, um in diesem Fall einen beliebten Werbeslogan nicht zu zitieren: „Mein Haus, mein Auto, meine Yacht…“ Es wird also auch eine Portion Eitelkeit eine Rolle gespielt haben, als Sigward, zu Beginn des 12. Jahrhunderts an der Spitze des früheren Nachbarbistums Minden, sich eine Sommerresidenz bauen ließ, deren Ausgestaltung 900 Jahre später Kunsthistoriker und Touristen gleichermaßen fasziniert: Die Fresken in der Kirche von Idensen bei Hannover sind ein Musterbeispiel romanischer Malerei und in weitem Umkreis einmalig.
Kirchenbaumeister warnt vor Barbarei
Rolf Hermann ist im Ruhestand Ortsbürgermeister und Vorsitzender des Freundeskreises der Sigwardskirche und er wird nicht müde, die Einmaligkeit der Kirche mit Herzblut, theologischem Sachverstand und großem Geschichtswissen zu vermitteln. Er erzählt davon, dass es dieses Kleinod heute gar nicht mehr geben würde, wenn vor 150 Jahren die Pläne der Dorfgemeinde in die Tat umgesetzt worden wären. Denn damals war das Gotteshaus trotz der 350 Sitzplätze zu klein und sollte durch einen Anbau an der Nordseite erweitert werden.
Freundeskreis freuen sich über den druckfrischen
Kirchenführer.
„Das wäre Barbarei“, intervenierte Conrad Wilhelm Hase, damals Kirchenbaumeister in Hannover. Er hatte die mit Kalk übertünchten Wände und Decken untersucht und festgestellt: Hier gibt es Malereien von allergrößtem Rang. Immerhin schaffte es Hase, die Gemeinde nicht nur zu überzeugen, sich eine neue, größere Kirche gleich gegenüber zu bauen. Er unterstützte sie auch durch eine Lotterie, die immerhin ein Viertel der Baukosten einspielte.
Als ab 1930 die Fresken freigelegt wurden, kam bemerkenswerte Kunst zutage: In den Gewölbefeldern sind Szenen aus dem Alten und Neuen Testament gegenübergestellt: hier Sintflut, Turm zu Babel und Sodom und Gomorrah, dort die Heilsgeschichte. Die Missions- und Lebensgeschichte der Apostel Petrus und Paulus ziert die Seitenkapellen. Das strahlende Blau gewannen die Künstler dieser Zeit aus Lapislazuli, damals wie heute so teuer wie Gold. Bischof Sigward war nicht knauserig, was die Gestaltung der Kirche anging. Schon den Bau hatten die besten Handwerker übernommen, die er aus dem Raum Cluny in Frankreich auftreiben konnte. Neben der Kirche stand sein Wohnturm, von dem aus er direkt in seine Privatkapelle gelangte. Die Spuren des Turms sind heute noch zu sehen.
sich der Bischof von Hildesheim als Sommersitz.
Schon zu Zeiten von Sigward gehörte Idensen trotz seiner Nähe zum wichtigen Hellweg (heute die B 65) an der Ostgrenze des damaligen Mindener Bistums nicht zu den kulturellen Sahnehäubchen. Vermutlich hatte die Familie des Bischofs, die mit den Schaumburger Grafen verwandt war, hier Land geerbt. Man kann davon ausgehen, dass Sigward in seiner Sommeresidenz sehr viel himmlische Ruhe vorgefunden hat.
Schmuckstück ist vielen noch unbekannt
Das ist heute nicht anders. Zum Glück oder leider? Jörg Mecke, ebenfalls vom Freundeskreis und ehrenamtlicher Prediger in Idensen, sieht das mit gemischten Gefühlen: „Was wir hier für ein Schmuckstück haben, wissen viele Menschen selbst aus der Umgebung nicht.“ Und für den Unterhalt von gleich zwei Kirchen aufkommen zu müssen, sei eine echte Herausforderung. Immerhin: Seit zwischen Ostern und Erntedank in der Sigwardskirche wieder regelmäßig Gottesdienst gefeiert wird, ist sie stärker in das Dorfbewusstsein gerückt. Weit über 100 Mitgieder hat der Freundeskreis inzwischen, der sich um Erhalt und Finanzierung kümmert.
Wer in der Idenser Sigwardskirche einen Moment der Ruhe sucht, sollte sich beeilen: Ab November wird sie für vier Monate dichtgemacht, damit die wertvollen Fresken gereinigt und stabilisiert werden können. Sollte die Kirchentür bis dahin mal geschlossen sein: Der Schlüssel liegt jederzeit im Kasten vor der Neuen Kirche für Besucher und stille Beter bereit.
Stefan Branahl