28.07.2011
Die KiZ blickt hinter die Kulissen eines Hospizes
Eine Oase zum Sterben
Ein wenig mulmig ist mir schon zumute, als ich vor dem Hospiz Luise stehe. Es ist nicht der erste Besuch in diesem Haus, doch heute bin ich nicht als neutraler Beobachter und Berichterstatter vor Ort. Einen Tag lang arbeite ich in der Einrichtung mit, in der sterbende Menschen in ihren letzten Lebenswochen und -tagen gepflegt werden.
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Offen und ehrlich reden die Patienten im Hospiz Luise über ihre Erkrankungen und den bevorstehenden Tod. Dennoch herrscht keine düstere Stimmung. Es wird auch gelacht. Foto: Wala |
Acht Patienten leben im Hospiz Luise. Ihre Lebenserwartung ist nicht mehr groß, sie bereiten sich auf das Sterben vor. Rund drei Wochen beträgt die durchschnittliche Verweildauer, das hat mir Leiter Kurt Bliefernicht bei anderer Gelegenheit mitgeteilt. Und dass die Osterkerze entzündet wird, wenn ein Patient stirbt. Beim Betreten des Hospizes richte ich meinen Blick unwillkürlich zu dieser Kerze in der Kapelle. Nein, sie brennt nicht – innerlich atme ich ein wenig auf.
Das Pflegepersonal des Frühdienstes ist längst im Einsatz. Die beiden Krankenschwestern haben von der Kollegin im Nachtdienst einen genauen Überblick über die Ereignisse der nächtlichen Stunden und das jeweilige Befinden der Patienten bekommen. Um 8 Uhr kommen alle Mitarbeiter kurz beim „Stehtisch“ zusammen: Leiter, Pflegepersonal, Hausmeister und die Mitarbeiterinnen aus dem Reinigungsbereich. „Alle müssen wissen, was im Hause los ist“, sagt Bliefernicht.
Allgemeiner Treffpunkt ist das Mittagessen
Im Laufe des Vormittags stoßen ehrenamtliche Helfer wie Christine Zwirner zum Team hinzu: „Wir unterstützen vor allem im Küchenbereich, bereiten das Essen vor und kümmern uns um die Angehörigen.“ Aber auch für die Patienten sind die Ehrenamtlichen da, sorgen zwischendurch für Getränke oder Essen und stehen für Gespräche zur Verfügung. Gemeinsam bereiten wir den Tisch für das Mittagessen vor, füllen das Essen aus dem benachbarten Vinzenzkrankenhaus in Schüsseln um und stellen Getränke bereit. Und pünktlich um Viertel nach 12 versammeln sich sowohl Mitarbeiter als auch Patienten – soweit sie es noch können oder wollen – am Esstisch in der Küche. Und beim Essen wird geredet – über Kinder und Familie, den Besuch eines Bestatters am Vormittag, aber auch über den gesundheitlichen Zustand. Hemmungen oder Scheu gibt es hier nicht, das gemeinsame Schicksal schweißt zusammen.
Bei einem ersten oberflächlichen Blick würde ein Unbeteiligter kaum vermuten, dass er es mit Menschen zu tun hat, die in Kürze aus dem Leben scheiden werden. Doch die Portionen sind deutlich geringer als normal und das Essen selbst strengt an. Die Krankheit – in den meisten Fällen ist es eine Form von Krebs – fordert ihren Tribut sowohl bei der Mitte 40-Jährigen wie bei einer 90-Jährigen, die an ihrem Geburtstag eine Woche zuvor ins Hospiz gezogen ist.
Während sich die Patienten ausruhen, heißt es für uns als ehrenamtliche Helfer, die Küche wieder aufzuräumen und für den Nachmittagskaffee vorzubereiten.
Für das Pflegepersonal steht die Übergabe an den Spätdienst an. Zu jedem Patienten werden erneut Informationen weitergegeben: Was ist an medizinischen Maßnahmen erfolgt, wie verhält der Patient sich, hat er Besuch bekommen… Doch nicht nur Fakten sind bei dieser Übergabe wichtig: „Ich glaube, sie macht sich auf den Weg“, sagt Susanne Stoffel dabei über eine Patientin. Ein Gefühl nur – doch mir wird bewusst, wie aufmerksam und feinfühlig die Mitarbeiter sein müssen. Sie erkennen kleinste Veränderungen, die selbst Angehörigen oft entgehen. Seit acht Jahren arbeitet die erfahrene Krankenschwester im Hospiz: „Es ist eine kleine Oase. Wir haben hier Zeit für die Pflege und können die Patienten wirklich begleiten.“
Hospizarbeit ist auf Spenden angewiesen
Möglich wird dies vor allem durch Spenden, denn die Hospizarbeit – egal ob ambulant oder stationär – wird nur zum Teil von Kranken- und Pflegekassen erstattet. Als das Hospiz 1994 gegründet wurde, gab es dafür überhaupt kein Geld der Kassen. Für die Patienten ist die Begleitung kostenfrei. Ihnen soll es durch Pflege und schmerzhemmende Medikamente möglich sein, auch ihre letzte Lebensphase bewusst und selbstbestimmt zu gestalten.
Jeden Donnerstag wird im Hospiz ein Gottesdienst in der hauseigenen Kapelle gefeiert – nicht nur für mich ein sehr emotionaler Moment: „Lass meine Enkelin nicht so traurig sein“, sagt die 90-Jährige. Mit Tränen in den Augen entzündet sie zu dieser Fürbitte eine Kerze auf dem Altar. Als sie an ihren Platz zurückkehrt, greift die Nachbarin behutsam ihre Hand, drückt sie kurz. Ein stiller Moment des Einvernehmens und des Zusammenhaltes.
Der Abschied danach fällt mir schwer, es fehlen die Worte. Nachdenklich mache ich mich auf den Heimweg.
Thomas Pohlmann
Stichwort
Hospiz Luise
Das Hospiz Luise befindet sich in Trägerschaft der Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul in Hildesheim. Die Einrichtung im hannoverschen Stadtteil Kirchrode wurde im November 1994 eröffnet – als erstes stationäres Haus in Niedersachsen für die Pflege und Betreuung von schwer kranken und sterbenden Menschen. Das Hospiz bietet Platz für acht Patienten. Darüber hinaus verfügt es über einen ambulanten Palliativdienst, der seit 1998 schwer kranke Menschen und ihre Zugehörigen zu Hause berät und begleitet. Die erfahrenen Mitarbeiter unterstützen dabei auch Pflegedienste und Hausärzte.
Derzeit wird die Einrichtung saniert und die stationären Plätze sind vorübergehend in der Berta-Klinik in Hannover untergebracht (Bertastraße 10). Verwaltung und ambulanter Dienst sind weiterhin in Kirchrode zu erreichen (Brakestraße 2d). Informationen unter Telefon: 05 11/52 48 76 76, E-Mail: info@hospiz-luise.de, Internet: www.hospiz-luise.de