14.11.2016
Frauen im Godehardi-Gefängnis stricken Weihnachtsgeschenke für den Guten Hirten
Für einen guten Zweck und gegen die Zeit
Sieben Frauen sitzen an einem Tisch und stricken. Aber sie sind keine normale Handarbeitsgruppe, sondern alle müssen im Hildesheimer Godehardi-Gefängnis, in der Justizvollzugsanstalt (JVA) für Frauen, eine Haftstrafe absitzen.
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Die Wände sind kahl, die Fenster vergittert. Einmal im Monat treffen sich hier im Hildesheimer Godehardi-Gefängnis Insassinnen und stricken Schals, Loops, Socken oder Umhänge – nicht für sich, sondern für bedürftige Menschen zu Weihnachten. Auch das nächste Projekt steht schon fest: Söckchen für die Frühchenstation eines Krankenhauses. Foto: Deppe |
Ein paar Tische, Stühle, eine Stehlampe und ein selbst gestaltetes Poster auf den sonst kahlen Wänden. Die Fenster sind vergittert, die Türen verschlossen – gemütlich ist der Gruppenraum in der JVA sicher nicht. Doch für die Frauen, die sich hier einmal im Monat mit Gefängnisseelsorgerin Marion Lütge treffen, bedeutet er viel mehr. „In diesen Raum, zu diesem Treffen kann ich freiwillig kommen. Das kann ich frei entscheiden. Sonst bin ich im Knast total fremdbestimmt“, sagt Doris*. Während die Nadeln weiterklappern, blickt sie von ihrer Handarbeit auf. „Wir sind weg von unseren Familien, wir erleben nicht, wie es draußen in der Welt weitergeht, die Freiheit wurde uns entzogen. Hier kann keiner machen, was er will.“
Die Hälfte ihrer fünfjährigen Haftstrafe für gewerbsmäßige Hehlerei hat Doris bereits abgesessen. Sie ist Strickprofi, hat schon vor ihrer Verurteilung regelmäßig gestrickt. „Vor allem Socken für meine Enkel. Die warten schon darauf, dass es zu Weihnachten wieder welche gibt.“
Betrug, Drogenkriminalität und versuchter Totschlag
Doch Doris und die anderen Frauen stricken zurzeit vor allem für ihr Projekt – initiiert durch die Gefängnisseelsorge. Es entstehen Schals, Socken, Umhänge und Loops – Geschenke, die der Soziale Mittagstisch Guter Hirt in Hildesheim Weihnachten bedürftigen Menschen schenken will. „Ich möchte damit was Gutes tun“, sagt Maike*, „der Gesellschaft etwas zurückgeben. Das ist ein richtig gutes Gefühl.“ Über 200 Teile sind bereits fertig.
Maike und zwei andere Frauen haben das Stricken erst im Knast in der Gruppe gelernt, es sich von denen zeigen lassen, die es schon vorher konnten. Stricken ist für die Frauen mehr, als nur die Nadeln klappern zu lassen und Maschen zu zählen. „Das ist gut gegen Langeweile. Hier im Knast gehen die Uhren langsamer. Wenn du nach der Arbeit aus einer der Werkstätten zurück in deine Zelle kommst und die Tür abends abgeschlossen wird, dann will die Zeit einfach nicht vergehen.“
Die Frauen, die heute emsig stricken, sind zwischen 30 und 70 Jahre alt. Sie sind erst seit ein paar Wochen da oder schon seit mehreren Jahren. Weshalb sie im Godehardi-Gefängnis einsitzen? Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, Betrug, Diebstahl, Hehlerei oder versuchter Totschlag.
Fernsehen, Lesen und Handarbeit: „Das hält einen vom Grübeln ab“, weiß Jaqueline*. „Ich denke immer an meine Familie, meine Kinder, die ich vermisse. Da ist es gut, wenn man abends eine Ablenkung hat und nicht nur die Decke anstarrt.“
„Die meisten Strickarbeiten sind in den Zellen entstanden – in der Freizeit der Frauen“, berichtet Marion Lütge. Mit so viel Engagement hatte sie anfangs nicht gerechnet. „Ich bin begeistert. Und ich musste, wenn wir uns als Gruppe getroffen haben, selbst auch mitstricken.“ Dass sie alle für den Guten Hirten stricken, hat einen guten Grund. „Wir haben schon oft Wollspenden von ihnen bekommen und auch diesmal haben sie uns mit Wolle versorgt“, sagt Lütge.
Chance für einen Neuanfang?
Sich als Gruppe zum Stricken zu treffen, ist für die Frauen ein Lichtblick, ein Höhepunkt im Gefängnisalltag. Es geht zu wie bei einem ganz normalen Handarbeitskreis. Tee, ein paar Kekse und Klönen.
Die Frauen sprechen über Highlights, aber auch über Probleme, so wie Lisbeth. Die Mittfünfzigerin hat nur noch wenige Wochen im Knast, dann kommt sie raus. Doch Freude will sich nicht so richtig bei ihr einstellen. „Ich suche eine kleine Wohnung. Aber egal, wo ich anrufe, bekomme ich schon vor einer Wohnungsbesichtigung eine Absage“, erzählt sie. Dabei kann sie eine Wohnung finanzieren, „aber mehr als 450 Euro sind für Miete nicht drin“. Und sie will wieder ganz normal arbeiten, als Köchin. „Ich habe doch für mein Fehlverhalten gebüßt, meine Strafe abgesessen. Ich wünsche mir nicht viel, nur die Chance für einen Neuanfang.“
*Namen sind geändert.
Edmund Deppe