19.02.2016

Kommentar

Gab es ein System?

Am nächsten Donnerstag läuft der Spielfilm "Spotlight" in den deutschen Kinos an. Er handelt von der Enthüllung des Missbrauchskandals in der US-Kirche und der Frage: "Gab es ein System?". Ein Kommentar von Hubertus Büker.

Der zentrale Satz im US-Spielfilm „Spotlight“, der jetzt in unsere Kinos kommt, lautet: „Zeigt mir das System!“ Den Satz sagt der Chef des „Boston Globe“, nachdem seine Reporter herausgefunden haben: Es gab im Erzbistum Boston 90 katholische Priester, die Kinder sexuell missbraucht haben. Dem Chef erscheint die bloße Zahl zweitrangig. Er will wissen: Wieso blieben die Täter unbehelligt? Wurden ihre Taten planmäßig unter den Teppich gekehrt? 

Ja. Die Kirchenleitung sorgte dafür, dass die Täter davonkamen, unter gütiger Mithilfe von Behörden, Anwälten, Journalisten. „Zeigt mir das System!“ bringt zugleich den Inhalt des Films auf den Punkt: „Spotlight“ führt ein skandalöses Räderwerk der Vertuschung vor Augen, präzise und unerbittlich.

Wer sich den Film anschaut, wird sogleich fragen: Gab es ein „System“ auch in Deutschland?

„Die Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche ist erst zu Ende erzählt, wenn (…) auch die Geschichte des bischöflichen Versagens erzählt worden ist.“ So drückte es der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke in einer TV-Dokumentation aus. Tatsächlich ist in Sachen Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in Deutschland eine Menge Lobenswertes geschehen. Erschöpfende Antworten allerdings fehlen noch auf Fragen wie: Was wussten die Bischöfe (und die Ordensoberen, wie ergänzt werden muss)? Was haben sie getan oder versäumt? 

Gewiss, die Antworten lassen sich nicht aus dem Ärmel schütteln. Das Gros der Missbrauchsfälle in Deutschland datiert aus den 1950er bis 1970er Jahren. Die damaligen Bischöfe und Oberen leben nicht mehr. Wer könnte die „Geschichte des Versagens“ erzählen? Und selbst wenn noch ein paar brisante Akten in irgendwelchen „Giftschränken“ lagern sollten – wie ließen sie sich unter Beachtung von Datenschutz und Persönlichkeitsrechten verwerten?

Dennoch: Dass die Bischofskonferenz 2011 Christian Pfeiffer und sein Kriminologisches Institut mit der Erforschung des Skandals betraute, durfte man als mutige Entscheidung deuten. Denn was immer man von Herrn Pfeiffer halten mag: Ihm war zuzutrauen, dass er findet, was noch zu finden ist, und dass er es dann auch auf den Tisch legt. 

Zweifellos gab es zwingende Gründe, Pfeiffer 2013 den Stuhl wieder vor die Tür zu setzen und eine neue Studie zu starten. Die Erwartung indes ist unverändert geblieben: eine ungeschminkte Analyse zu leisten, so gut das irgend möglich ist. Die dann – unter anderem – zeigt, ob es so etwas wie ein „System“ gab.

Von Hubertus Büker