15.04.2014

Nachgefragt

Gleiches Streikrecht für alle

Viele kritisieren den Arbeitskampf der Lufthansa-Piloten. Wir haben den Braunschweiger Arbeitnehmer-Seelsorger Otwin Paluch gefragt, ob kleine Berufsgruppen beim Streiken das gleiche Recht haben sollten wie große.

Lufthansa-Chef Christoph Franz hat angesichts des Arbeitskampfes seiner Piloten eine Verschärfung des Streikrechts gefordert. Je kleiner eine streikende Gruppe, desto höher müssten die Hürden für einen Streik sein. Ist das richtig?

Otwin Paluch ist Arbeitnehmerseelsorger und Präses der KAB Braunschweig. Foto: Röpke
Otwin Paluch ist Arbeitnehmerseelsorger
und Präses der KAB Braunschweig.
Foto: Röpke

Nein. Ich halte das demokratische Recht zu streiken nicht für relativierbar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich genau festlegen lässt, wie groß eine Gruppe sein muss und unter welchen Bedingungen sie streiken darf. Nehmen wir das Recht auf Demonstrationsfreiheit: Stellen Sie sich vor, man würde dieses Recht davon abhängig machen, wie groß eine Gruppe ist. Das wäre das Ende der Meinungsfreiheit.

Kann denn mit dem Streikrecht auch Missbrauch betrieben werden?

Mir fallen jetzt keine Umstände ein, wie es missbräuchlich genutzt werden kann. Wenn Arbeitnehmer oder Arbeitgeber während eines Arbeitskampfes gegen die Regeln verstoßen, die das Streikrecht definiert, wäre es ein Missbrauch. Aber solange ein Streik gesetzeskonform abläuft, kann ich mir keinen Missbrauch vorstellen.

Wenn Arbeitnehmer streiken, ist vom volkswirtschaftlichen Schaden die Rede, den Arbeitskämpfe anrichten können. Verhalten sich Streikende also gesellschaftsfeindlich?

Dieses Argument bringt mich am meisten in Rage. Die heilige Kuh scheint die Wirtschaft zu sein. Alles, was die Wirtschaftskraft beeinträchtigen könnte, möchte man einschränken. Man ist hierzulande oft bedingungslos bereit, alles wirtschaftlichen Interessen unterzuordnen – und das halte ich für falsch. Natürlich führen Streiks in unterschiedlichen Ausmaßen zu wirtschaftlichen Schäden. Aber das Recht zu streiken hat sich diese demokratische Gesellschaft erarbeitet. Alle, die das Streikrecht behindern wollen, verhalten sich gesellschaftsfeindlich.

Weil sie viel Geld verdienen, ernten die Piloten kaum Verständnis für ihren Arbeitskampf. Die Piloten rechtfertigen ihren Verdienst mit ihrer hohen Verantwortung. Überzeugt Sie das?

Der Verdienst kann nie den Ausschlag dafür geben, ob jemand streiken darf oder nicht. Auch Piloten haben das Recht. Ich halte ihre Argumentation aber für falsch, weil es wesentlich mehr Berufsgruppen gibt, die Verantwortung für andere tragen und von denen Menschen abhängig sind – beispielsweise Ärzte, Busfahrer oder Altenpfleger.

Ist Neid auf die Piloten angebracht?

Ich vermute, dass Neid vorhanden ist. Ich schlucke auch ein bisschen, wenn ich sehe, was Piloten verdienen. Aber ich finde es schwierig, sich darüber zu streiten. Unterschiede in der Vergütung gibt es in allen Branchen und Berufsgruppen. Leistung lässt sich selten eindeutig bemessen. Was ist der Maßstab für einen hohen oder niedrigen Verdienst? Ginge es nur um die Verantwortung, die Piloten tragen, müsste man auch das Gehalt der Busfahrer anheben.

Interview: Volker Röpke