18.08.2017

Lauschangriff und Krieg der Nonnen

Die Reformation machte auch vor den Heideklöstern nicht halt. Dennoch haben sie bis heute Tradition und klösterliches Leben bewahrt. Auf einer gut 300 Kilometer langen Fahrradtour lassen sie sich entdecken.

Heute würde das zweifellos unter Rassismus fallen: Afrikaner, die ihre riesigen Lippen als Sonnenschutz über den Kopf ziehen. Um 1300 wusste man es nicht besser und so ist diese grausige Szene in die Ebstorfer Weltkarte eingeflossen. Auf rund 13 Quadratmetern lassen sich diverse andere Details entdecken: Flüsse und Städte, biblische Figuren und gefährlich anmutende Fabelwesen. Im Zentrum der Karte das himmlische Jerusalem, ganz oben das Paradies. Auch Städte wie Lüneburg und Braunschweig tauchen in der Karte auf.

Offenbar war es nicht die Absicht des Kartographen, einen geographisch korrekten Plan anzufertigen. Die Karte spiegelt vielmehr das geschichtliche, mythologische und theo­logische Wissen der damaligen Zeit wider. Mindestens eine Aussage ist bis heute aktuell: Christus hält die ganze Welt in seinen Händen.
 

Idyllisch: Im Innenhof des Klosters Lüne fühlt man
sich in eine andere Zeit versetzt. | Foto: Matthias Bode

Zu besichtigen ist die Karte – oder, genauer gesagt, eine Kopie, das Original wurde im Zweiten Weltkrieg im Landesarchiv Hannover zerstört – im Kloster Ebstorf. Das Kloster ist eine Station auf einer 300 Kilometer langen Fahrradtour, die die sechs sogenannten Heideklöster miteinander verbindet. Neben Ebstorf zählen dazu Wienhausen, Isenhagen, Medingen, Lüne und Walsrode.

Heideklöster, das sind ehemalige Benediktinerinnenklöster, Kanonissenstifte oder Zisterzienserinnenniederlassungen, die der Reformation zum Opfer fielen und dennoch bis heute ihre klösterliche Tradition bewahrt haben. Seit Jahrhunderten werden sie als evangelische Damenstifte geführt – mit einer Äbtissin an der Spitze.

Dass die Klöster nicht wie andere katholische Ordenshäuser aufgegeben oder zweckentfremdet wurden, könnte auch mit der Hartnäckigkeit der Ordensfrauen zu tun gehabt haben: Sie wollten den neuen Glauben partout nicht annehmen. So tobte beispielsweise im Kloster Medingen 30 Jahre lang der sogenannte Nonnenkrieg. Die Äbtissin verbrannte öffentlich die Lutherbibel und die Schwestern versteckten ihren katholischen Beichtvater auf dem Dachboden. Erst 1554 traten die Ordensfrauen widerwillig zum evangelischen Glauben über – blieben im Kloster und pflegten ihre Traditionen.

Zu entdecken gibt es in allen Heideklöstern etwas: In Lüne sind es Abendmahlsdecken und Banklaken und eine dazugehörige Weberei; in Walsrode ein „Bambino“, eine 500 Jahre alte Puppe des Christuskindes, sowie mittelalterliche Fenster; in Medingen eine Rundkirche und Flussperlen aus der Ilmenau; in Wienhausen Wandmalereien und Bildteppiche; in Isenhagen mittelalterliche Möbel und Kunstwerke. Und noch viel, viel mehr.
 

Egal ob als komplette Radtour durch die herrliche
Heidelandschaft oder immer mal wieder eine Etappe,
die Heideklöster wie das Kloster Ebstorf laden
zur Pause ein. | Foto: Edmund Deppe

In Ebstorf ist die Entdeckungsreise mit der Weltkarte keinesfalls zu Ende. Wer sich durch den Kreuzgang des Klosters führen lässt, erfährt, dass Abhörvorrichtungen keinesfalls eine Erfindung der Neuzeit sind: Über einen Lausch-Schacht konnte die Äbtissin schon vor vielen hundert Jahren die Gespräche der Nonnen mithören. Waren die unzüchtig, landeten die Schwestern im klostereigenen Kerker. Auch der lässt sich besichtigen.

Eine Entdeckung der ganz eigenen Art sind die Klostergebäude. Viele von ihnen wurden im Stil der Backsteingotik errichtet, andere entstanden in der Zeit der Renaissance oder des Barock. Beeindruckend sind sie allesamt. Das Kloster Lüne beispielsweise, nur wenige Kilometer von der Lüneburger Innenstadt entfernt, ist ein Ort, der Hektik und Verkehr vergessen lässt. Der Backsteinbau ist efeubewachsen, zwischen den Flügeln der Anlage ist ein Kräutergarten angelegt und durch das Areal zieht sich ein kleiner Wasserlauf – der Besucher ist plötzlich in einer anderen Welt.

Wer sich auf den Sattel schwingt, um all dies zu erkunden, wird mit einer weiteren Entdeckung belohnt: der großartigen Landschaft. Birkenwälder wechseln mit offenen Heideflächen ab, Bachläufe mit grünen Wiesen. Und dazwischen idyllische Heidedörfer. Nicht nur in den Klöstern scheint hier manchmal die Zeit stehen geblieben zu sein.#

Matthias Bode


300 Kilometer in 20 Stunden oder einer Woche

Die Tour zu den sechs Heideklös­tern ist gut 300 Kilometer lang, es müssen 250 Höhenmeter bewältigt werden. Auf einem Rundkurs werden Celle, Wienhausen, Isenhagen, Uelzen, Medingen, Lüne, Ebstorf, Walsrode und schließlich wieder Celle abgefahren. Die Tour kann an jeder beliebigen Stelle begonnen werden, günstige Ausgangspunkte, die sich mit der Bahn erreichen lassen, sind Celle, Uelzen und Lüneburg.

Die reine Fahrzeit beträgt etwa 20 Stunden, wer entspannt radeln und wirklich etwas sehen will, sollte sich durchaus eine Woche Zeit für die Runde nehmen.  Hilfreich sind die beiden Kompass-Fahrradkarten Harburg, Nordheide, Lüneburg und Uelzen, Südheide, Celle. Wer es papierlos mag, lädt sich die Naviki-Fahrrad-App auf sein Handy.

Die Strecke führt über Fahrradwege und wenig befahrene Straßen, sie ist gut ausgebaut, ab und zu gibt es kurze sandige Abschnitte. Die Tour ist mit jedem handelsüblichen Fahrrad zu bewältigen. Vor allem in den kleineren Orten sind die Übernachtungsmöglichkeiten begrenzt. Dort sollte man sich rechtzeitig um eine Bleibe bemühen.

Durch die Klosteranlagen und die dazugehörigen Museen gibt es regelmäßig Führungen, montags ist meist geschlossen.

An der Strecke gibt es noch mehr zu sehen: Die alte Residenzstadt Celle mit Schloss und Fachwerkbauten, Uelzen mit dem Hundertwasserbahnhof,  Lüneburg mit der St. Johanneskirche und einmaligen Giebelhäusern, Bad Bodenteich mit einer Burganlage, Hösseringen mit einem Museumsdorf.