27.07.2017
Fahrradwerkstatt Bad Münder
Mit dem Fahrrad bin ich frei
Seit Dezember 2015 gibt es die Fahrrad-Werkstatt Bad Münder. Viele Flüchtlinge haben in den vergangenen Jahren hier ein eigenes Fahrrad bekommen. Für sie ist es mehr als nur ein Freizeit- oder Fitness-Gefährt.
gebrauchte Fahrräder repariert, durchgecheckt
und dann wieder auf die Straße entlassen – mit
neuen Besitzern. | Fotos: Edmund Deppe
Hayder ist 14 Jahre alt und kommt aus dem Irak. „Fertig“, sagt er und stellt sein Fahrrad zur Seite. Die Bremsen mussten nachjustiert werden. Nun kommt das Fahrrad seines Vaters dran. „Es hat vorne einen Platten,“ erklärt der junge Iraker.
Ganz selbstverständlich kommen Hayder und sein Vater mit ihren Fahrrad-Problemen zur Münderschen Tafel, genauer gesagt zur Fahrrad-Wekstatt Bad Münder, die sich in der Trägerschaft der Tafel befindet.
Seit zwei Jahren lebt die Familie von Hayder in Deutschland. Für wenig Geld haben sie ihre Räder in der Fahrrad-Werkstatt gekauft. Wenn etwas kaputt ist oder mal was geschraubt werden muss, dann kommen sie hier her, reparieren selbst – als Vater-Sohn-Team.
„Wir haben hier alle Werkzeuge. Die dürfen sie benutzen. Nur Ersatzteile müssen sie selbst mitbringen oder, falls ich sie da habe, bezahlen“, sagt Werkstattleiter Dragutin Trajlovic. Von Anfang an ist der 68-Jährige bei der Fahrrad-Werkstatt dabei – ehrenamtlich. „Eigentlich wollte ich nur mal vorbeischauen, bin dann aber hängen geblieben“, erzählt lachend der frühere Verwaltungsangestellte der Stadt. „Für mich ist das hier wie ein Hobby. Außerdem habe ich eine soziale Ader und kann den Menschen hier ein wenig helfen.“
Gemeinsam wird das reparierte Vorderrad wieder angebaut.
Viele Flüchtlinge wünschen sich ein eigenes Fahrrad
Dragutin Trajlovic weiß, dass sich viele Flüchtlinge – besonders Kinder und Jugendliche – ein eigenes Fahrrad wünschen, sich aber ein solches Gefährt nicht leisten können. „Auch wo sie herkommen, in ihrer Heimat, ist das keine Selbstverständlichkeit.“ Hier in der Fahrrad-Werkstatt werden gebrauchte Fahrräder aufgearbeitet. Die meisten sind Spenden, Fahrräder, die zum Teil schon seit Jahren herum standen und vollgestaubt sind. Manchmal kommen auch Fahrräder vom Fundbüro, wo sich keine Besitzer ermitteln ließen. Und: Ein Fahrrad gibt es nicht für jeden hier, sondern nur für den, der es sich sonst nicht leisten kann.
Hayder ist stolz auf sein Fahrrad. Es macht ihn unabhängig. „Es bedeutet mir viel. Ich bin dadurch mobil. Mit dem Fahrrad bin ich frei. Ich brauche nicht auf den Bus zu warten. Gleich fahre ich los, um mich mit meinen Freunden zu treffen. Wir wollen heute ins Kino“, freut er sich. Der Fahrradschlauch ist inzwischen gewechselt. Nun muss das Vorderrad noch in die Gabel gehängt und festgeschraubt werden.
Neben der Mobilität, weiß der Werkstattleiter, ist das Fahrrad auch als Transportmittel wichtig. „Viele Flüchtlingsfrauen fragen nach einem Fahrradkorb. Sie brauchen das Fahrrad zum Einkaufen, um auch größere Mengen nach Haus zu transportieren, die zum Tragen zu schwer sind“, erklärt er.
Während Trajlovic drei jungen Mädchen bei einem Fahrradproblem hilft, ist John eingetroffen – natürlich auf seinem Fahrrad, dass auch aus der Fahrrad-Werkstatt stammt. Der Nigerianer hat den Asylantenstatus und lebt inzwischen seit zehn Jahren in Deutschland. Anfangs hat er ab und an bei der Tafel geholfen. Nun verrichtet er hier seinen Bundesfreiwilligendienst. Dazu gehört jeden Dienstag von 14 bis 18 Uhr die Arbeit in der Fahrrad-Werkstatt. „Nur einmal in der Woche haben wir geöffnet, aber dann ist auch fast immer Leben in der Bude“, sagt er.
Heute macht John ein Mountain-Bike zurecht. „Das ist als Preis für das internationale Spielefest in Bad Münder gedacht. Insgesamt zwei Fahrräder sponsert die Mündersche Tafel. Damit wollen wir ein bisschen Werbung für uns machen“, verrät Trajlovic.
Alle unsere Fahrräder sind voll verkehrstauglich
Nach einer kurzen Besprechung, was alles an dem Rad noch zu tun ist, legt John los. Er schaut, ob alle Schrauben fest sitzen, kontrolliert die Gangschaltung, stellt die Bremsen neu ein und baut die fehlende Beleuchtung sowie eine Klingel an. „Alle Räder, die die Werkstatt verlassen, sind voll verkehrstauglich“, betont er. Zusammen mit Trajlovic und Mark, der Ein-Euro-Kraft, gehört John zur Kernmannschaft der Werkstatt. Andere kommen, wie sie gerade Zeit haben.
besprechen, was an diesem Fahrrad
noch alles gemacht werden muss.
Mohammed ist heute das erste Mal da. Der 63-jährige Maschinist aus der Türkei kam vor 46 Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland. Aus gesundheitlichen Gründen kann er nicht mehr auf dem Bau arbeiten. Aber ohne Arbeit ist ihm langweilig. „Weil ich schon immer Fahrräder repariert und zusammengebaut habe, kann ich mit meiner Erfahrung gut in der Fahrrad-Werkstatt helfen“, sagt er und pumpt Luft auf einen Reifen.
Aber die Fahrrad-Werkstatt Bad Münder ist mehr als eine normale Werkstatt. „Wer ein Fahrrad möchte, der kann mithelfen, es in einen verkehrstauglichen Zustand zu bringen. Dann geht es schneller und er muss nicht so lange auf sein Rad warten. Wenn es keine passenden Ersatzteile gibt oder sie zu teuer sind, dann muss auch mal improvisiert werden,“ sagt Trajlovic. Und ganz nebenbei lernen die Flüchtlinge in der Werkstatt auch ein bisschen Deutsch, zum Beispiel die einzelnen Bauteile eines Fahrrads. Dafür hängt eine große Tafel an der Wand.
Gleich ist 18 Uhr. Es wird ruhig in der Fahrrad-Werkstatt. Noch ein bisschen aufräumen, nächsten Dienstag geht es weiter. Während Dragutin Trajlovic das Licht ausmacht und abschließt sagt er: „Mein größter Lohn für mein Engagement hier sind die strahlenden Kinderaugen, wenn sie ein eigenes Fahrrad mit nach Hause nehmen können. Mehr Dank kann man doch nicht bekommen – oder?“
Fahrrad-Werkstatt Bad Münder, Am Theenser Anger 37 (direkt bei der Münderschen Tafel).
Öffnungszeiten: Dienstags von 14 bis 18 Uhr, E-Mail: info@muendersche-tafel.de, Homepage: www.muendersche-tafel.de
Edmund Deppe