30.05.2012
Netzwelt jagt Kriegstreiber
Rasend schnell hat sich die Kampagne gegen den ugandischen Rebellenchef Joseph Kony im Internet verbreitet. Seit März haben weltweit rund 90 Millionen Menschen den Kurzfilm angeschaut. Am Ende soll der Zuschauer spenden und dabei helfen, „die Welt zu verbessern“ – ganz einfach per Mausklick …
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Mehr als 90 millionenmal wurde das Video schon angeklickt. |
„Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ Mit diesem Satz beginnt der 30-minütige Film von Regisseur Jason Russel. Der Film ist Teil der Kampagne „Kony 2012“, die von der Organisation „Invisible Children“ ins Leben gerufen wurde. Ihre Idee: mit Werbeaktionen und Filmen auf die Gräueltaten des ugandischen Rebellenchefs Joseph Kony aufmerksam machen und ihn durch die Unterstützung der Internetgemeinde zur Strecke bringen.
Seit über 20 Jahren versetzt „Der Schlächter von Uganda“ die Menschen in Zentralafrika in Angst und Schrecken. Schon während des Bürgerkrieges ließ Kony Tausende Kinder für seine „Widerstandsarmee des Herrn“ (LRA) entführen, ließ morden, verstümmeln und vergewaltigen. Geschätzte 66 000 Kinder wurden verschleppt und zu Soldaten oder Sexsklaven gemacht. Das Skurrile daran: Der selbsternannte General Gottes will mit Hilfe seiner Armee angeblich ein Herrschaftssystem in Uganda einführen, das sich an den Zehn Geboten orientiert.
Wegen seiner Kriegsverbrechen und zahlreicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird er seit 2005 mit internationalem Haftbefehl gesucht. Seit letztem Jahr sind ihm zudem 100 amerikanische Soldaten auf den Fersen. Bisher aber ohne Erfolg.
Gräueltaten von Kony für die ganze Welt sichtbar machen
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Auch die Startseite der Organisation "Invisbile Children" arbeitet mit der Macht der Bilder. |
„Invisible Children“ hat es sich deshalb zum Ziel gemacht, durch ihre Kampagnen den Druck auf die politischen Verantwortlichen zu erhöhen, den Menschen in Uganda zu helfen und auch die staatliche Armee bei ihrer Suche nach dem Rebellenchef finanziell zu unterstützen. Durch den Kurzfilm sollen „die Taten von Joseph Kony für die ganze Welt sichtbar werden“. An sich edle Ziele, die im Film demonstriert und in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und Youtube auch erfolgreich verbreitet werden. Wie erfolgreich, erfährt man sofort, wenn man allein bei Youtube das Stichwort "kony" eingibt. Eine endlose Zahl an Videos wird einem angeboten.
Am Ende des offiziellen Videos erfährt der Zuschauer, wie er mit ein paar Mausklicks ganz einfach zu einer besseren Welt beitragen kann: das Video verbreiten, ein „Aktion-Kit“ kaufen und sich als Spender registrieren. Fertig. Traurige schwarze Kinder, bedrückende Musik, bewegende Bilder aus Uganda und gleichzeitig die Darstellung der heilen westlichen Welt erwecken dazu das nötige Mitleid der Zuschauer.
Kritik an der doch so einfachen Botschaft
Zwei Probleme gibt es dabei. Zum einen stimmen viele Fakten des Films nicht, wie Kritiker nachgewiesen haben. Beispielsweise ist die LRA bereits seit 2005 aus Uganda geflüchtet und treibt seitdem in Teilen der Demokratischen Republik Kongo, Südsudans und der Zentralafrikanischen Republik ihr Unwesen. Uganda ist friedlich.
Zweites Problem: Lassen sich Konflikte so einfach „wegklicken“? Der gigantische Erfolg des professionell gemachten Videos hat seinen Preis. Spendeneinnahmen gehen nicht in erster Linie an die Betroffenen, sondern fließen zu großen Teilen in die aufwendige Produktion der Kampagne. Nur ein Drittel gehe nach Uganda, so die Kritiker. Auch die finanzielle Unterstützung der ugandischen Armee wird kritisiert. Diese soll selbst in Plünderungen, Vergewaltigungen und den Handel mit „Blutdiamanten“ verwickelt sein. Zudem werde die komplexe Situation in Uganda zu einfach dargestellt: „Schnappt Kony und das Problem ist gelöst …“
Die einfache Botschaft macht die Kampagne verständlich und erfolgreich. Die Welt schaut wieder verstärkt in die Region. Dass sich die Welt aber so einfach verbessern lässt, darf bezweifelt werden.
Ihre Webreporterin Lisa Koch