06.09.2017
Schicksale der Oktoberrevolution
Eine neue Serie der Kirchenzeitung erinnert an den Beginn jahrzehntelangen Terrors, Hungers und Christenverfolgung im ehemaligen Zarenreich. Wir bringen Ihnen die Schicksale von Menschen aus der Zeit der Oktoberrevolution näher.
Ausbildung am schweren Maschinengewehr 8/15.
Foto: Borsumer Heimatmuseum
Borsum. Im Heimatmuseum von Borsum bei Hildesheim liegt ein Kriegstagebuch. Ein Zeitdokument, das die Erlebnisse des Borsumer Katholiken Theodor Schrader in der Russischen Oktoberrevolution enthält.
Im August 1917 erlebt der 23-jährige Gefreite Theodor Schrader noch eine verhältnismäßig ruhige Zeit. Von der schwer umkämpften französischen Festung Verdun ist er nach Wolhynien (Westukraine) verlegt worden. Die letzte Offensive der Russen ist im Juli 1917 gestoppt worden. Der Feind läuft auseinander. Weitgehend kampflos kann ein Ort nach dem anderen von den deutschen Truppen eingenommen werden. Die bürgerliche russische Regierung unter Alexander Kerenski hat kaum noch loyale Truppen und wird am 7. November 1917 (nach orthodoxem Kalender: 25. Oktober 1917) durch die bolschewistische Oktoberrevolution entmachtet.
Theodor Schrader rückt mit seiner Maschinengewehr-Kompanie des Reserve-Ersatzregiments 2 in der Ukraine weiter nach Osten vor. Im Spätsommer 1918 badet er mit Kameraden im Asowschen Meer östlich der Krim. Aber im November 1918 ist das ruhige Besatzungsleben vorbei. In der Heimat herrscht Revolution. Kaiser Wilhelm II. dankt ab. Die Ukraine ist ein Hexenkessel aus roten, weißen, anarchistischen und ukrainisch-nationalistischen Milizen und Partisanen.
Theodor Schraders Regiment hat wie die anderen deutschen Truppen einen Soldatenrat gebildet. Die Offiziere können nicht mehr befehlen, nur noch beraten. Die Soldaten wollen mit der Eisenbahn nach Hause. Weil die Weichen und Brücken oft von irgendeiner Bürgerkriegspartei besetzt sind, geht die Fahrt kreuz und quer. Am 24. Dezember 1918 ist bei Pawlograd erst einmal Schluss. Schrader und rund 400 Kameraden sind von bolschewistischen Truppen umstellt. Zu den anderen deutschen Truppen besteht keine Verbindung. Die Deutschen werden aufgefordert, sich zu ergeben. Dann bekämen sie zu essen und könnten nach Hause weiterfahren.
Die Deutschen willigen ein. Sie werden in zwei Schulgebäuden untergebracht und ihrer Kleider und Ausrüstung beraubt. Die Offiziere werden aussortiert und auf dem Schulhof umgebracht. Die Mannschaften bekommen drei Tage lang nichts zu essen. Dann erhalten sie Lumpen als Ersatzkleidung. Knapp zwei Monate lang werden sie in der ukrainischen Stadt Charkiw indoktriniert, um auf bolschewistischer Seite zu kämpfen. Vierzehn willigen ein. Schließlich am 12. Februar 1919 können Theodor Schrader und die übrigen Kameraden nach Hause. Am 27. Februar kommt er in Borsum an.
Theodor Schrader erlebte in Russland den Beginn einer Revolution, die sich in anderen Ländern fortgesetzt, Abermillionen Menschenleben gekostet und die schlimmste Christenverfolgung der Geschichte mit sich gebracht hat. Russlanddeutsche Katholiken, Ukrainisch Unierte Christen und ein jüdisch-orthodoxer Rabbiner berichten in einer fünfteiligen Serie über die Schicksale ihrer Vorfahren – ab heute.
Tillo Nestmann