19.09.2012

Bundesweiter Gesprächsprozess in Hannover

Von iPads im Aquarium

Manchmal gibt es in einem Aquarium auch Wellen. Nicht zuletzt Stimmen aus der Diözese Hildesheim haben mit dafür gesorgt, dass der bundesweite Dialog zwischen Bischöfen und Laien in Hannover einen Schritt vorankam. Aber nicht ohne ein Wechselbad aus Frust und puren Optimismus.

Keine Stellwände, keine großen Papierblöcke mehr: Anmerkungen und Anregungen zum Geschehen beim Dialogforum wurden in Hannover auf kleinen tragbaren Computern gemacht. Wie es geht, zeigt die Hildesheimer Vinzentinerin Sr. Rut-Maria Rolke, die von der Deutschen Ordensoberenkonferenz entsandt wurde. Foto: Wala
Keine Stellwände, keine großen Papierblöcke mehr: Anmerkungen und Anregungen zum Geschehen beim Dialogforum wurden in Hannover auf kleinen tragbaren Computern gemacht. Wie es geht, zeigt die Hildesheimer Vinzentinerin Sr. Rut-Maria Rolke, die von der Deutschen Ordensoberenkonferenz entsandt wurde. Foto: Wala

Samstagmorgen, zweiter Tag des Treffens in Hannover: „Fischglas“ nennt sich die Diskussionsmethode für Großgruppen, die die über 300 Teilnehmer erwartet. Neun Debattierer – darunter Bischof Norbert Trelle – sitzen in der Mitte, alle anderen drumherum. Es hat was von einem Aquarium.

Ein Stuhl neben den Hauptdiskutanten ist frei. Dort können sich Zuhörer setzen, die eine Frage oder einen Einwurf machen möchten – und gehen dann auf ihren Platz zurück. Das „Fischglas“ ist der Moment, in der die Stimmung des Treffens kippt – zum Guten.

Tags zuvor schoben die Delegierten eher Frust. Skepsis überwog, ob man irgendwie auf dem Weg des Dialoges weiterkommen würde – jenseits von Debatten, die schon auf der Würzburger Synode von 1975 ausgetragen wurden.

Zwar gab es durchaus Applaus für die Eingangsvorträge der Bischöfe Franz-Josef Overbeck und Franz-Josef Bode sowie von Kardinal Reinhard Marx. Overbeck wie Bode fordern, die Kirche solle viel mehr Nähe zu den Menschen suchen – auch zu denen, die aus den Normen der Kirche fallen: wiederverheiratete Geschiedene ebenso wie Menschen, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben. Marx plädiert für eine Kirche, die sich sozial und politisch einmischt: „Das ist nicht weniger wichtig als Gottesdienstfeier und Glaubensverkündigung.“ Doch was heißt das konkret?

Satte 261 Anmerkungen werden an den über 30 Achter-Tischen zu den Vorträgen notiert – nicht auf klassischen Stellwänden, sondern in „iPads“, in DIN-A4-großen Computern. Quer durch alle Themen, die die Kirche bewegen: Frauen, Jugend, Sexualmoral, Priestermangel, Gemeindestrukturen und gesellschaftliche Verantwortung.

Materialsammlung allein reicht nicht

Das nach dem Auftakt in Mannheim vor einem Jahr erneute Sammeln von Themen produziert Frust: „So eine Materialsammlung hätte jeder Pfarrgemeinderat hingekriegt – und besser“, empört sich ein Teilnehmer. Zustimmung per Beifall.

Dann das Fischglas: Dr. Hans-Jürgen Marcus, Direktor des Diözesancaritasverbandes Hildesheim, ist einer der ersten, die ein konkretes Arbeitsvorhaben anmahnen: den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen im kirchlichen Arbeitsrecht. Jenseits der Frage nach ihrer Wiederzulassung zur Eucharistie könne die Bischofskonferenz hier durch Öffnungsklauseln ein Zeichen setzen.  

Zudem spricht sich Marcus für einen Versöhnungsprozess mit dem Verein „donum vitae“ aus, den katholische Laien vor 13 Jahren gegrüdet hatten, als Papst Johannes Paul II. der Caritas das Ausstellen einer Bescheinigung der Schwangerenkonfliktberatung untersagte. „Dass Mitglieder bei donum vitae oftmals vom kirchlichen Ehrenamt ausgeschlossen sind, ist eine offene Wunde“, betont Marcus.

Zweiter „Halb-Hildesheimer“ Einschub: Professor Dr. Gerhard Kruip, bei Hannover wohnend und in Mainz christliche Soziallehre dozierend, findet drastische Wort für die Situation der Kirche. Ihm komme die deutsche Kirche vor wie in einem Kanalsystem. Über einzelne Schächte kommt Licht herein. Die Katholiken versuchen den Deckel, mit denen der Schacht verschlossen ist, aufzustemmen: „Aber auf jedem Deckel sitzt ein Kurienkardinal.“ Die Bischöfe müssten sich eine Frage gefallen lassen: Schieben sie von unten mit oder drücken sie von oben drauf?

Ein zugespitzer Vergleich, keine Frage. Aber manchmal braucht es solche Worte, um etwas wachsen  zu lassen. Hier war es nötig. Denn infolge der Diskussion entwickelt sich in Hannover eine Koalition, die das Gesicht der Kirche verändern will. Vorsichtig und behutsamen, aber vor allem weg von Dogmen und hin zu Barmherzigkeit. „Wie Jesus es gewollt hätte“,  sagt Torsten Kordon, Pfarrgemeinderatsvorsitzender aus Erfurt im Fischglas.

Offenheit im Verhältnis von Klerikern und Laien

Das war das überwiegende Bild des Dialogforums: Im Kleingruppen berieten die Teilnehmer, welche Impulse die Kirche in ihrem caritativen Engagement setzen muss.Unser Bild zeigt die Hildesheimer Delegierte Dr. Ursula Lange. Foto: Wala
Das war das überwiegende Bild des Dialogforums: Im Kleingruppen berieten die Teilnehmer, welche Impulse die Kirche in ihrem caritativen Engagement setzen muss.Unser Bild zeigt die Hildesheimer Delegierte Dr. Ursula Lange. Foto: Wala

Dieser Wunsch „nach einer Kirche, die den Menschen nahe ist“, wie es Erzbischof Zollitsch beschreibt, drückt sich in den Selbstverpflichtungen aus, die sich alle am Dialog beteiligten Gruppen gaben. Bischof Norbert Trelle sieht nach dem Treffen von Hannover eine „neue Offenheit, die ein Weiterdenken ermöglicht, vor allem im Verhältnis von Klerikern und Laien“.

„Es lohnt sich weiterzumachen“, findet auch Elisabeth Eicke, die Vorsitzende des Hildesheimer Diözesanrates: „Wir haben jetzt ein Forum, durch das sich Bischöfe und Laien direkt über die Zukunft  der Kirche austauschen können.“ Wie sich Kirche in die Gesellschaft einbringe, ist auch unsere Verantwortung als Laien.“

Dennoch: Einen Schritt weiter hätte die Versammlung noch gehen können. „Ich hätte mir gewünscht, dass wir uns alle auf drei Arbeitsvorhaben verständigt hätten, nicht nur auf unterschiedliche Verpflichtungen“, betont Eicke. Der Dialog sei aber ein Prozess: „Da gibt es noch Luft nach oben.“

Rüdiger Wala

 

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