14.08.2011
Warum nennt sich Jesus „der Menschensohn“?
An verschiedenen Stellen der Evangelien nennt sich Jesus „Menschensohn“. Wieso wählt er diese Bezeichnung, spricht dabei jedoch nicht in der Ich-Form, sondern immer nur in der dritten Person, „der Menschensohn“?
Werner Fleck, 30890 Barsinghausen
Das ist eine Frage, die in der Bibelwissenschaft bis heute nicht endgültig geklärt ist. Klar ist, dass Jesus sich oft selbst so bezeichnet hat. Aber was bedeutet es? Im Alten Testament, der „Bibel Jesu“, wird der Begriff häufiger benutzt. Aber nicht als Titel, sondern als etwas blumiger Ausdruck für „Mensch“ oder auch „Menschenkind“. Nur an einer einzigen Stelle ist das anders: im relativ jungen Buch „Daniel“.
Es ist ein Buch, in dem vom Ende der Welt und vom endgültigen Gericht die Rede ist. Die irdischen Mächte werden dort als wilde Tiere beschrieben. Dann folgen diese Verse: „Da kam mit den Wolken des Himmels einer, der aussah wie ein Menschensohn. Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen. Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft. Sein Reich geht niemals unter …“ (7,13). Gemeint ist der von den Juden erwartete Messias. Damit ist „Menschensohn“ ein Hoheitstitel, der von den Christen auf ihren Messias, Jesus Christus, übertragen wurde.
Fragt sich nur: Hat Jesus das auch selbst so gemeint? Zunächst: Von sich selbst in der dritten Person zu reden war für die hebräische Sprache nicht ungewöhnlich. Auch wenn Jesus in der dritten Person redete, meinte er sich. Das verstand damals auch jeder. Wichtiger aber: Benutzte Jesus das Wort Menschensohn nur als Umschreibung für „ich“ und damit als Betonung seiner Menschlichkeit oder verstand er das Wort als Hoheitstitel wie in Daniel 7? Wollte er andeuten, dass er der erwartete Messias ist? Die Meinungen der Bibelwissenschaftler gehen weit auseinander.
Viele bezweifeln, dass Jesus in allen Phasen seines Lebens sicher war, der Messias zu sein. Wäre sein Leiden echt gewesen, wenn er immer gewusst hat, dass er auferstehen würde? Sie plädieren dafür, dass Jesus selbst auf den kommenden Menschensohn aus dem Buch Daniel wartete. Erst die spätere Gemeinde und die biblischen Schriftsteller waren sicher, dass Jesus und der kommende Menschensohn eins sind.
Andere meinen, dass Jesus diesen Hoheitstitel sehr wohl für sich in Anspruch nahm, um seine Predigt und sein Handeln zu begründen. Definitiv zu entscheiden ist das kaum.
Susanne Haverkamp