09.08.2017
Mönche des Karmeliterordens siedelten sich im Mittelalter in Marienau an.
Weißes Mus für alle
Marienau, ein Dorf zwischen Hameln und Hildesheim. Hier siedelten sich im Mittelalter Mönche des Karmeliterordens an. Die Marienkapelle erinnert noch heute an das Kloster. Und das Wittmusfest an einen alten Brauch.
Marienaus. Besucher führt er auch zu einer neuen
Marienstatue in der Kapelle. | Fotos: Stefan Branahl
Wir kommen auch in diesem Fall um den Herrn Goethe nicht herum: „Die heiligen drei Könige, Legende und Text, sind wirklich allerliebst…“ schreibt er 1819 an einen Freund. Gerade hatte er alte Texte entdeckt, die ein gewisser Johannes von Hildesheim, Prior von Marienau, fast 500 Jahre zuvor zu Papier gebracht hat.
Das ist jetzt erst mal ein ganz tiefer Griff in die Geschichte. Aber wer auf der Suche nach dem Ausgangspunkt einen prächtigen Sakralbau vermutet, möglicherweise heute noch von Ordensbrüdern bewohnt, bewirtschaftet und gepflegt, der ist ziemlich auf dem Holzweg. Wir sind nämlich in Marienau, einer auch auf den zweiten Blick unbedeutenden Ortschaft zwischen Hameln und Hildesheim an der Bundesstraße 1. Wer sich hier nicht auskennt – und das ist weiß Gott keine Schande – wird vermutlich ein paarmal das Hinweisschild übersehen und irritiert hin und her fahren, um schließlich am westlichen Ortsrand in eine Sackgasse einzubiegen und die Marienkapelle zu entdecken. Sie ist Überbleibsel des einzigen Karmelitenklosters im Bistum Hildesheim, das in vergangener Zeit auch ein wichtiger Wallfahrtsort gewesen ist.
Der Ort für das Kloster musste gerodet werden
Bis ins 13. Jahrhundert müssen wir zurück, um der Sache auf den Grund zu gehen. Damals holten sich die Grafen von Spiegelberg aus Coppenbrügge die „Brüder unserer lieben Frau vom Berge Karmel“ in die recht unwirtliche Gegend. Auhagen hieß das spätere Marienau damals noch, ein recht aufschlussreicher Name: „Aue“ war ein beliebter Name für eher unwichtige Bäche, „Hagen“ geht zurück auf Hacke oder Hecke: Wer hier siedeln wollte, musste sich seinen Platz buchstäblich freihacken.
Coppenbrügge. Hier war einst das einzige Karmeliterkloster
im Bistum.
Das galt für Siedler wie auch für Karmelitermönche, die als Bettelorden kamen und als große Marienverehrer bekannt waren. Bald sprach sich herum, dass sie eine Madonna im Gepäck hatten, die – damals durchaus üblich – schnell Anlass besonderer Verehrung wurde: Aus dem ganzen Umkreis kamen die Menschen nach Marienau, um einen Blick auf sie zu werfen, ihre Anliegen vorzubringen und um Fürbitte zu beten. Dass den Pilgern auch noch ein Sündenablass zugesichert wurde, machte die ganze Sache besonders attraktiv. Über kurz oder lang waren die Mönche in Marienau Gesprächsstoff in den ärmlichen Hütten, sie kamen bei den Menschen gut an und aus diversen Aufzeichnungen wissen wir heute, dass sie um einiges beliebter waren als die Kirchenvertreter. Die schauten ziemlich neidisch auf die Spendenbereitschaft und forderten ihren Anteil, bis schließlich irgendwann sogar der Papst intervenieren musste.
Wie dem auch sei, das ganze Gerangel sorgte eher für noch regeren Zuspruch, die Zahl der Pilger war beachtlich. Viele nahmen lange und beschwerliche Fußwege auf sich und mussten aus der Klosterküche beköstigt werden: Für die Hungrigen gab es weißes Mus, eine Mehlsuppe aus Buchweizen.
Irgendwann im Mittelalter schlug den Mönchen von Marienau die Stunde, das Kloster wurde aufgelöst, die wundertätige Marienfigur verschwand im Irgendwo und die Klosterglocke soll irgendwo in der Feldmark vergraben sein.
Wittmus ist heute ein Volksfest
Pilger durch die Mönche.|Foto: privat.
Mehr als 500 Jahre hat es gedauert, bis die Marienauer die Tradition ihres Ortes wiederbelebt haben: Als sie im Jahr 2000 das 750-jährige Bestehen feierten, holten sie auch das ehemalige Kloster wieder in die Erinnerung zurück, erzählt Gerhardt Godt, der sich intensiv mit der Geschichte des Ortes und seines früheren geistigen Mittelpunktes befasst. Rund um die Marienkapelle wurde ein historischen Plänen nachempfundener Klostergarten angelegt, der heute ein Erholungsort für Bewohner und viele Gäste geworden ist. „Und jedes Jahr feiern wir die Tradition des Wittmus-Festes: Immer drei Wochen nach Ostern brechen wir zu einem Pilgerweg auf, der zu verschiedenen Stationen im Ort führt. Zum Abschluss gibt es dann das weiße Mus – nicht nach altem Rezept, sondern aus Grieß. Und zum Abschluss feiern wir gemensam einen Gottesdienst in der Marienkapelle.“
Von Stefan Branahl