31.10.2014
Der Film „Im Labyrinth des Schweigens“
Zuckerguss und Leichenberge
1958 im Land des Wirtschaftswunders. 13 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs hat sich Deutschland eingerichtet zwischen Petticoat und Babyblau. Ein junger Staatsanwalt legt den Finger in die Wunde Auschwitz.
![]() |
Der junge Staatsanwalt Johann Radmann (Alexander Fehling) will Licht in die vielerorts verdrängte Vergangenheit Deutschlands bringen. Fassungslos steht er bei seinen Recherchen zwischen den offiziellen Listen der Lagerleitung Auschwitz. Foto: Universal Pictures |
„Wollen Sie denn, dass sich jeder junge Mensch in diesem Land fragt, ob sein Vater ein Mörder ist?“ Ja, auch das will der am Anfang seiner Laufbahn stehende Staatsanwalt Johann Radmann. Es ist 1958, überall in Deutschland herrscht Wirtschaftswunderseligkeit. Radmann hat gerade erst von Auschwitz erfahren. Jetzt will er Aufklärung, Gerechtigkeit, Sühne – entgegen aller Widerstände. Am 6. November startet Giulio Ricciarellis historisch fundiertes Epos „Im Labyrinth des Schweigens“ in den Kinos.
„All das“ ist längst weit weg
Das Schicksal ereilt Johann Radmann in der Gestalt des unnachgiebigen Journalisten Thomas „Mika“ Gnielka. Der geht den erfahrenen Kollegen des jungen Frankfurter Staatsanwalts gehörig auf die Nerven, weil er unbedingt will, dass sie sich seiner Geschichte annehmen und handeln. Dabei hat man sich doch so schön wieder eingerichtet in der neuen Friedenszeit und in der eigenen Karriere. Der Krieg und „all das“ – weit weg. Gnielka wird verlacht und weggeschickt, sein Zettel mit Zeugennamen und Informationen landet im Müll. Radmann ahnt nicht, worum es geht, doch er fischt das Papier aus dem Abfall. Damit setzt sich ein Prozess in Gang, der das Land verändern soll. Und der Radmann jenseits der Grenzen all dessen führt, woran er glaubt, was er erstrebt und was er selbst lieber nicht gewusst und gesehen hätte…
Ricciarellis Film hat die emotionale Wucht und Intensität von Steven Spielbergs oscargekröntem Werk „Schindlers Liste“. Dabei ist „Im Labyrinth des Schweigens“ ganz anders und bewusst als Unterhaltungsfilm konzipiert. Der sehr ruhig erzählte Film unterhält auch über viele Szenen hinweg und bietet sogar heitere Momente. Doch vor allen Dingen trifft er den Zuschauer im Innersten und wirft Fragen auf: Wie war das damals? Wie haben wir uns verhalten, die eigenen Eltern, die Großeltern? Wissen wir das wirklich? Wurde darüber überhaupt und dann auch ehrlich gesprochen in der Familie?
Und nicht zuletzt: Wie kann es sein, dass noch im Jahr 1958 – 13 Jahre nach dem Ende des Krieges und nach den Nürnberger Prozessen – so viele Menschen nichts von den unfassbaren Gräueln in Auschwitz wussten? Dass Auschwitz für sie ein unbekanntes Wort war? Darauf gibt im Film der Auschwitz-Überlebende Simon Kirsch eine Antwort: „Was glaubst du denn?“, fragt er Radmann, „Petticoat, Babyblau und Rosa – dieses Land will Zuckerguss! Es will die Wahrheit nicht wissen.“ Menschlich ist es verständlich, dass sich nach den Schrecken des Krieges die Menschen nach einem Neuanfang sehnten, nach Normalität, Vergessen und einer heilen Welt. Dennoch entsetzt jedes einzelne Kopfschütteln, jede Ablehnung, jedes Leugnen.
Niemand wollte Mengele finden
Ins Zentrum des Geschehens rückt bald die Jagd nach einem der grausamsten Nazi-Verbrecher: Josef Mengele. Der Arzt und Anthropologe war von 1943 bis 1945 Lagerarzt in Auschwitz. Er überwachte nicht nur die Vergasung der Menschen, sondern führte unvorstellbar grausame „Experimente“ an Zwillingen, Behinderten und anderen Inhaftierten durch. Dass Mengele nie gefasst wurde, ist historisch bekannt. Im Film schockiert die internationale Übereinkunft von Deutschen, Israelis und Amerikanern, die Radmanns atemlose Jagd ins Leere laufen lassen. Da kann Mengele sogar unbehelligt an der Beerdigung seines Vaters in Günzburg teilnehmen, der Stadt, die von der Maschinenfabrik Mengele lebt. Bis heute ist das ein nicht gänzlich geklärter Teil der historischen Geschehnisse – der Film lässt es wahrscheinlich erscheinen. Mit Unverständnis reagieren die Geheimdienstler und Kriminalbeamte auf Radmanns Fassungslosigkeit und ohnmächtige Wut: „Es war immer klar, dass Eichmann Priorität hatte“, legen sie ihre Ermittlungsziele und ihr Taktieren offen.
„Von uns gefordert ist heute Demut“
Übermächtig scheinen die Hindernisse, die Radmann überwinden muss, auch wenn er von Anfang an den integren Generalstaatsanwalt Fritz Bauer auf seiner Seite hat und Kollegen von seinem vehementen Kampf um die Wahrheit überzeugen kann. Doch wie soll er die Schuldigen finden bei potenziell zehn Millionen Verdächtigen? Es gibt einen Zeitpunkt, an dem er aufgeben will. Doch Mika fährt mit ihm nach Auschwitz. „Du siehst eine Wiese. Einen Zaun. Baracken“, sagt er. „Doch in Auschwitz geht es um die Opfer, um ihre Geschichten. Wenn du diesen Prozess nicht führst, werden die hier für immer begraben.“
Die Auschwitz-Prozesse haben die Aufarbeitung des Holocaust und der Nazizeit damals in eine neue Epoche geführt. Seitdem steht Auschwitz „emblematisch für das deutsche Menschheitsverbrechen“, wie Werner Renz schreibt, Mitarbeiter des „Fritz Bauer Instituts“. „Die Phase des Beschweigens der NS-Vergangenheit fand ihr Ende. Das bequeme Verdrängen und Vergessen war nicht mehr möglich.“
Jakob Claussen, einer der Produzenten, macht deutlich, dass es nicht darum geht, mit dem Film über jene Generationen zu richten: „Von uns ist heute eine gewisse Demut gefordert“, sagt er. „Es wäre billig, aus unserer warmen Wohnung heraus über unsere Väter und Großväter die Nase zu rümpfen. Wir haben vielmehr die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass so etwas wie in Auschwitz nicht noch einmal passiert. Das ist die Haltung, die unser Film einnimmt.“ Für Johann Radmann ist klar: „Es gibt nur eine Antwort auf Auschwitz: Es selbst richtig zu machen.“
„Im Labyrinth des Schweigens“ ist ein Film von Giulio Ricciarelli (Regie und Drehbuch, letzteres mit Elisabeth Bartel). In den Hauptrollen: Alexander Fehling als Johann Radmann; Gert Voss in seiner letzten großen Rolle als Fritz Bauer; André Szymanski als Thomas „Mika“ Gnielka; Johannes Krisch als Simon Kirsch und Friederike Becht als Marlene Wondrak. Kinostart ist am 6. November.
Hildegard Mathies
Mehr unter www.imlabyrinth-film.de