13.09.2011
Gott ist weggetrocknet
Der heilige Benedikt hat den Äbten seiner Klöster eine Regel mit auf den Weg gegeben, in der er ein ausgewogenes Maß zwischen Arbeitssucht und Müßiggang empfiehlt. Sie sollten ihre Herde „nicht überanstrengen und in die Überlastung treiben, sonst ginge sie zugrunde“. Das war vor etwa 1500 Jahren.
Für die moderne Arbeitswelt ist sie immer noch hochaktuell. Immer mehr Arbeitnehmer geraten aus dem seelischen Gleichgewicht. Vor allem dann, wenn sie versuchen, den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden – ohne Rücksicht auf ihre individuellen Möglichkeiten und Grenzen. In vielen Berufen gibt es keine Garantie auf einen Lebensarbeitsplatz mehr. Die Gefahr der Selbstausbeutung wächst. Die Folgen sind ein Gefühl von innerer Leere, Desinteresse und Resignation, was bis zu existenzieller Verzweiflung führen kann. In diesem Zustand erleben selbst Christen Gott mitunter als fern: Gott ist verdunstet, inmitten all der Geschäftigkeit des Alltags weggetrocknet.
Das sind beileibe keine Einzelfälle. Burnout wird inzwischen als Volkskrankheit eingestuft. Nach einer Studie der Psychotherapeutenkammer hat sich die Zahl der psychischen Erkrankungen seit 1990 fast verdoppelt. Und auch die Folgen für die Unternehmer sind gravierend. Durch solcherart bedingte Ausfälle ist der deutschen Volkswirtschaft 2009 ein Schaden von etwa 6,3 Milliarden Euro entstanden, ergab eine Studie der Betriebskrankenkassen. Wo Ausgebranntsein und Müdigkeit um sich greifen, ist auch der Erfolg einer Organisation gefährdet. Wenn schon nicht aus Rücksichtnahme auf die Beschäftigten, so doch in wohlverstandenem eigenen Interesse sollten Firmenchefs allmählich dazu übergehen, etwas Druck aus dem täglichen Stress zu nehmen – in allen Branchen und Ebenen, bis in die Führungsetagen. Immerhin sind sie per Gesetz dazu verpflichtet, ihr „Humankapital“ nicht zu verschleißen.
Dass das nicht leicht zu bewerkstelligen ist, liegt auf der Hand. Beim Burnout gibt es kein gelerntes Verhalten. Die Diagnose überfordert oft die meisten Führungskräfte. Und das spürt auch der Betroffene. Ihm bleibt letztlich nur fachärztliche Hilfe. Und, soweit das möglich ist, eine Änderung der Lebenseinstellung.
Vieles könnte zu einer heilsamen Unterbrechung des Alltags beitragen. Etwa der bewusst frei gehaltene Sonntag als Ruhetag oder die Pflege von Freundschaften. Im Abstand zum Alltäglichen spürt man das Leben und sich selbst wieder. Was immer einem wohltut, wonach einem ist – dafür darf und soll man sich Zeit nehmen.
Michael Dorndorf