14.12.2013
Kommentar
Platz 1? Nein, danke!
Von Susanne Haverkamp
„Hunger nach Bildung“ nennt Adveniat seine weihnachtliche Hilfsaktion. Chilenische Studenten gehen für kostenlose Unis auf die Straße. Und in Deutschland freut man sich, dass die Ergebnisse der jüngsten PISA-Studie nach oben weisen. Drei aktuelle Meldungen, die zeigen: Erfolgreich lernen ist keine Selbstverständlichkeit.
In Deutschland hat man sich beruhigt: Im europäischen Vergleich stehen die 15-jährigen Schülerinnen und Schüler gut da. Und was besonders erfreulich ist: Die Schere zwischen Kindern aus bildungsnahen und bildungsfernen Familien ist kleiner geworden. Die systematischen Förderungsmaßnahmen ab der Vorschulzeit greifen offenbar, die „Bildungsgerechtigkeit“ ist etwas näher gerückt. Pessimisten schielen hingegen nach oben. Zwei bis drei Schuljahre sollen ostasiatische Schüler unseren Kindern in mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern voraus sein. Das klingt gewaltig und zaubert Sorgenfalten auf die Stirn: Laufen die Asiaten uns in Sachen Technik und Entwicklung den Rang ab?
Die Chilenen haben dagegen ganz andere Sorgen. Bei ihnen ist Bildung immer noch abhängig vom Geldbeutel der Eltern. Gute Schulen und Universitäten kosten ein Vermögen, die Reichen bleiben unter sich. Und doch es geht bei den Protesten der chilenischen Studierenden nicht nur um die Bezahlbarkeit der Bildung, sondern auch um ihren Inhalt. Musische und kulturelle Bildung, Philosophie und kritisches Denken stehen hinter den praktischen Fähigkeiten weit zurück – und genau in dem Punkt berühren sich die Diskussionen aus eigentlich recht verschiedenen Welten.
Denn der Deutsche Philologenverband mahnt zu Recht an, sich nicht auf PISA-Ranglisten zu fixieren. Ist das ostasiatische Schulmodell mit weitgehend stupidem Drill wirklich das Vorbild, nach dem wir streben sollten? Sind Kunst und Musik, die Fähigkeit, eigene Standpunkte zu finden und zu vertreten, das Kennenlernen und Diskutieren religiöser und kultureller Werte nicht mindestens genauso wichtig? Ist schulisch geförderte Kreativität und Persönlichkeit nicht auch gefragt, wenn es darum geht, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern?
Mit einseitigen Stundenplänen, strengem Frontalunterricht, massiver Disziplin und bergeweise Hausaufgaben lassen sich Binomische Formeln und Gravitationslehre vielleicht besser einbläuen als in Gruppenarbeit und Selbstlernphasen. Aber wenn das der Preis des PISA-Erfolgs ist, sollten wir auf den 1. Platz gern verzichten.