20.06.2016
Mit ihrem Vaterunser-Zyklus will Sabina Kaluza auch in Israel zum Nachdenken anregen
Bilder gegen das Schweigen
Mit ihren Werken will sie auch provozieren, vor allem aber zum Nachdenken anregen. Sabina Kaluza hat ihren Zyklus zum Vaterunser in Israel ausgestellt. Als Botschafterin für die Sparte Kunst nahm sie in der Braunschweiger Partnerstadt Kiryat Tivon am Tag des offenen Ateliers teil.
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Wie soll sie beten, wenn sie schweigen muss? Die Künstlerin Sabina Kaluza greift das Vaterunser in der Gebärdensprache auf. Ihr Werk war jetzt auch auf einer Ausstellung in Israel zu sehen. Foto: Stefan Branahl |
Die Werkstatt teilt sie sich mit anderen Künstlern in einem früheren Braunschweiger Industriegebäude. Aus Kostengründen. „Meine Bilder würde sich keiner im Wohnzimmer über die Couch hängen“, sagt Sabina Kaluza. Das ist kein Selbstzweifel an ihrem Können, eher die Einschätzung, wie sie die Dinge sieht. Und was das angeht, will sie sich ihre Freiheit bewahren.
Für ihre Freiheit ist sie über Grenzen gegangen. Mitte der 80er-Jahre flüchtete Sabina Kaluza aus Polen mit gefälschten Papieren nach Deutschland. Sie war frisch verheiratet, hatte den Kopf voller Pläne und Ideen, aber ihre Heimat war ihr einfach zu eng geworden.
Aufgewachsen ist sie mitten im polnischen Grubenrevier, in Beuthen. „Ich war klassisch polnisch-katholisch. Kirchen haben mich seit meiner Kindheit fasziniert“, blickt sie zurück. Dass das Leben keine geraden Wege vorgibt, spürt sie schnell: der eine Großvater, ein Pole, hat die Häftlingsnummern von vier Konzentrationslagern auf dem Arm tätowiert. Der andere, ein Deutscher, kämpft als deutscher Wehrmachtssoldat beim D-Day, der Landung der alliierten Truppen in der Normandie. Zwei ganz unterschiedliche Familiengeschichten, die Sabina Kaluza auch künstlerisch aufarbeitet.
Das ist aber eine andere Geschichte. Hier geht es um ihre Reise nach Israel, um eine Ausstellung, die der Künstlerin viel bedeutet. „Ich wollte in Kiryat Tivon nicht irgendetwas zeigen, sondern das, was mich tief bewegt.“ Und darum griff sie auf eine Serie von Motiven zurück, die bereits vor fünf Jahren zum Vaterunser entstanden sind.
Auch dazu gibt es eine Vorgeschichte. „Als unsere Kinder zur Erstkommunion gingen, wurde ich gebeten, eine Gruppe als Katechetin zu begleiten“, erzählt Sabina Kaluza. „Damals habe ich begonnen, mich intensiv und auch kritisch mit meinem Glauben auseinander zu setzen, habe hinterfragt und mir meine eigenen Gedanken gemacht.“ Zum Beispiel darüber, welche Rolle die Frau in der Religion spielt. Eine Sache, die ihr keine Ruhe mehr gelassen hat. Einen Satz, der sie besonders empört hat, fand sie in einem Paulusbrief: „Wie in allen Gemeinden der Heiligen lasset eure Weiber schweigen in der Gemeinde“, wird der Apostel dort zitiert. „Das gilt ja bis heute“, sagt Sabina Kaluza. „Alle großen Religionen – Christen, Juden, Muslime, Hindus – weisen der Frau eine dienende Rolle zu.“
Die Frau also soll schweigen. Wie kann sie dann mit Gott sprechen? In mehrfacher Weise provozierend hat Sabina Kaluza diese Frage in ihrem Vaterunser-Zyklus aufgegriffen: Stumm und nackt betet sie auf den Bildern selbst zu Gott – in der Gebärdensprache, der Sprache der Stummen also, greift sie Satz für Satz auf. Das Urgebet der Christen, verknüpft mit Erotik und Widerspruch und vor allem mit eindringlichen Fragen. Bilder, die in keiner Weise blasphemisch oder sarkastisch gemeint sind, sondern zum Nachdenken anregen sollen.
Ins Gespräch kommen wollte die Künstlerin auch mit den Besuchern der Ausstellung in Israel. Die konnten ihre Gedanken notieren und die Zettel an eine Albe heften, an das weiße Untergewand des Priesters. Eine einfache Pinwand wäre ihr zu allgemein gewesen, sagt Sabina Kaluza. Dass die Nadeln ins Priestergewand gestochen wurden, hat sie schon beschäftigt. Das sei allerdings ein eher technisches Detail gewesen. „Als provozierende Stichelei habe ich es ausdrücklich nicht gemeint.“
Stefan Branahl
Mehr zur Künstlerin: www.sabina-kaluza.de [1]