30.08.2017
Alles – aber nur kein Schrott …
In der Jugendwerkstatt von LABORA in Hildesheim werden alte Fahrräder wieder aufgearbeitet. Für Drahtesel mit hoher Laufleistung, wie das von Matthias Richter, eine zweite Chance.
Zum Schluss war es nur noch ein Staubfänger in der Garage. Aber davor war es für Matthias Richter das Fahrrad, das ihn überall hingebracht hat. Zur Arbeit, in die St. Augustinusschule in Hildesheim. Zum Bäcker. Und auf Touren zu den Orten, die der Lehrer schon immer mit seinem Drahtesel erradeln mochte. „Das Fahrrad ist mein Hauptverkehrsmittel“, berichtet der 60-Jährige. Gut 3000 Kilometer fährt er im Jahr – und das nicht nur bei schönem Wetter.
So kommt es, dass irgendwann auch mal der fahrbare Untersatz ausgetauscht wird. Und der Vorgänger in der Garage parkt. Als potenzielles Ersatzteillager. Falls am neuen Fahrrad mal was kaputt geht. So der Plan. Doch Pläne sind bekanntlich dafür da verworfen zu werden. Das wackere Velo steht mehr und mehr im Weg. Doch wohin damit? Auf den Schrottplatz?
„Dafür ist das Fahrrad noch zu gut“, urteilt Richter. Klar, da und dort müsste ein bisschen was gemacht werden. Vielleicht auch etwas mehr, damit das Rad wieder richtig durch die Straßen brettern kann.
Richters Entscheidung: Er bringt es in die Jugendwerkstatt von LABORA. Dort wird es wieder fit gemacht. Frank Wille, der Werkstattleiter, befestigt am Rad einen kleinen Zettel. „LABORA 2424“ steht darauf. „Seit 2013 nummerieren wir unsere Fahrräder, die wir reparieren, durch“, erzählt er. Also in vier Jahren über 2400 Stück. Macht bei durchschnittlich 220 Arbeitstagen im Jahr fast elf Stück – pro Tag. Der Großteil der Räder für die Jugendwerkstatt kommt allerdings nicht aus Spenden: „Die holen wir tatsächlich vom Schrottplatz.“
in der Jugendwerkstatt von LABORA in guten
Händen. | Foto: Wala
Wille nimmt schon mal in den Blick, was jetzt getan werden muss. Griffe am Lenker, die Bremszüge, die Kette, eventuell die Kabel fürs Licht. Nach dem, was LABORA an Ersatzteilen in ein Fahrrad stecken muss, bemisst sich auch der Preis, für das es später verkauft wird. Im Durchschnitt sind das 35 bis 40 Euro, machmal aber auch mehr. Sicher, nicht selten wird aus zwei oder drei Fahrrädern ein neues. „Aber wir können uns nicht nur mit gebrauchten Ersatzteilen behelfen“, sagt Wille. Denn auch die Räder, die bei LABORA aufgearbeitet werden, müssen verkehrstauglich sein.
Heute nehmen sich Ali und Mohamed des Fahrrads an. Ali ist 22 und kommt von der Elfenbeinküste, Mohamed ist zwei Jahre jünger und stammt aus Liberia. Beide sind erst seit wenigen Monaten in Deutschland. Sie machen ein Kurzzeitpraktikum in der Jugendwerkstatt. „Wir wollen uns an die Arbeit mit Fahrrädern gewöhnen“, sagen beide. Mechanik interessiert die beiden – das ist deutlich zu sehen. Auch wenn sie erst wenige Tage dabei sind. Die Kontrolle, was funktioniert und was kaputt ist, wird routiniert durchgeführt. „Die beiden sind wirklich geschickt“, lobt Wille.
Flüchtlinge wie Ali und Mohamed arbeiten seit dem letzten Jahr immer mal wieder in der Fahrradwerkstatt mit – mal als Praktikum, mal als Trainingsmaßnahme. Sie arbeiten dann neben den Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren, die bei LABORA ihre Zukunft angehen wollen – obwohl sie vorher gestrauchelt sind. Oder neben Schülern, die in der Jugendwerkstatt ihre Schulpflicht erfüllen – weil es für sie in der Schulbank einfach nicht mehr geklappt hat.
Auch das von Matthias Richter überreichte Fahrrad wird bald in den Verkauf kommen. Für wie viel, wird die Reparatur zeigen. An wen, ist aber schon klar: „Wir dürfen nur an Bezieher von Arbeitslosengeld II, an Flüchtlinge oder an Studierende in Hildesheim unsere Fahrräder verkaufen“, listet Werkstattleiter Wille auf. Also an die, die einen schmalen Geldbeutel haben. Manche Fahrräder schickt LABORA auch in Zusammenarbeit mit dem Hildesheimer Verein „Arbeit und Dritte Welt“ nach Afrika oder Zentralamerika. Weil auch da das gebraucht wird, was hier als Staubfänger in der Garage steht.
Rüdiger Wala